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Für Punks ist Ruhe störend

Die Bewohner der ehemals besetzten Häuser in der Rigaer Straße haben immer wieder Stress mit den Anwohnern wegen Ruhestörung. Die Anzeigen häufen sich, doch Kommunikation gibt es nicht  ■   Von Maurice Schuhmann

Vor den ehemals besetzten Häusern in der Rigaer Straße 83 und 84 in Friedrichshain ist bei schönem Wetter noch am späten Abend etwas los. Rund 30 jugendliche Punks trinken Bier, unterhalten sich laut, und vom Alkohol aufgeheizt kommt es manchmal zu vereinzelten Streitereien. Ein paar Hunde bellen, und Flaschen klirren, wenn sie auf die Fahrbahn geworfen werden. Das ist hier Alltag. Ein bis zweimal im Monat finden in den Räumen der Häuser Partys statt. Dann geht es noch etwas lauter zu. Eigentlich ist das nichts Neues, doch in diesem Jahr hagelt es Anzeigen wegen Lärmbelästigung.

Mehr als 15 schriftliche Anzeigen und diverse mündliche sind beim Bezirksamt Friedrichshain gegen die Bewohner der beiden Häuser in diesem Sommer bereits eingegangen. Sie beziehen sich einerseits direkt auf die laute Musik, die aus den beiden Häusern kommt, und andererseits auf Personen, die vor den Häusern sitzen.

Messungen des Bezirksamtes ergaben an bestimmten Tagen deutliche Überschreitungen der zugelassenen Wertes von 35 Dezibil nach 20 Uhr.„ Drei Meter von der Wohnung eines Betroffenen wurde der Dezibilwert 70 gemessen. Das entspricht dem Lärm, den ein Flugzeug beim Starten verursacht“, klagt der stellvertretene Bezirksbürgermeister Dieter Hildebrandt (PDS).

1990 wurden in der Rigaer Straße mehrere Häuser besetzt und in den folgenden Jahren legalisiert. Die Nummer 83 befindet sich im Eigentum der Selbstverwalteten Ostberliner GenossInnenschaft (SOG); mit ihr hätten die von Lärmbelästigung betroffenen Anwohner einen direkten Ansprechpartner. Trotzdem kam es bisher kaum zu einem Dialog zwischen Anwohnern und der SOG oder Bewohnern der Häuser.

Auch bei den Hausbewohnern selbst haben sich bisher nur sehr selten die Betroffenen gemeldet. Zu den wenigen Ausnahmen gehören die Mieter des Hauses Proskauer Straße 10. Das Haus ist über einen gemeinsamen Hinterhof mit dem Haus Rigaer Straße 84 verbunden. Hier gibt es eine Regelung: Die Bewohner der 84 gaben den Mietern des Hauses eine Kontaktnummer, bei der sie sich bei Lärmbelästigung melden konnten. Die Anrufe häuften sich prompt. Doch bezogen sich nach Angaben der Jugendlichen auf Lapalien wie laufende Fernseher und Gespräche in der Gemeinschaftsküche bei geöffneten Fenster. Die Folge: Die Kommunikation brach schnell wieder ab. „Die Nachbarn führen ein total anderes Leben als wir“, beklagt einer der Bewohner. „Ihnen wurde von dem Vermieter eine ruhige Wohngegend versprochen. Das ist eindeutig eine Lüge. Wo viele Jugendliche wohnen, geht es automatisch ein bisschen lauter zu.“

Im Kiez sind die Meinungen zum Thema Lärmbelästigung sehr unterschiedlich. Ein Rentner schimpft: „Lärmbelästigung ist gar kein Ausdruck. Die benehmen sich wie die Hottentotten, wenn sie abends von den Häusern zu dem Haus Nummer 94 gehen. Die nehmen keine Rücksicht auf Anwohner. Mit denen kann man auch nicht reden. man sieht es schon daran, wie die schon hausen.“ Ganz anders ist der Tenor, den eine Zeitungsverkäuferin von ihrer Kundschaft mitbekommt. Die Lärmbelästigung sei in letzter Zeit zurückgegangen, war die vorherrschende Meinung.

Das Bezirksamt Friedrichhain will diesen Zustand trotzdem nicht länger dulden. Zwei Tage nach dem es zu einer gewälttätigen Auseinandersetzung zwischen Polizisten und Punks wegen Ruhestörung kam, traf eine schriftliche Verfügung in den Häusern ein. Bei der mehrstündigen Auseinandersetzung wurden 8 Personen festgenommen und 3 weitere Personen in Sicherheitsgewahrsam genommen. Eine Person sitzt immer noch in Untersuchungshaft wegen Verdachtes auf schweren Landfriedensbruch (siehe taz vom 4. August 99).

In dem in den Häusern ausgehängten Schreiben heißt es jetzt:„In der Zeit von 20.00 – 7.00 Uhr sowie an Sonn- und Feiertagen ganztätig wird die Verursachung bzw. Zulassung jeglichen Lärms mit sofortiger Wirkung untersagt.“ Desweiteren erinnert ein Polizeilautsprecherwagen die Bewohner regelmäßig abends gegen 23 Uhr mit Durchsagen an die Verordnung.

In den vergangenen Wochen wurde die Stimmung zusätzlich durch mehrere kleine Polizeieinsätze aufgeheizt. Am 11. August sperrte die Polizei die Rigaer Straße zwischen der Proskauer und der Gabelsberger Straße ab. Über ein benachbartes Haus gelangten die Beamten auf das Dach und entfernten Baumaterialien, die für die Reparatur des desolaten Schornsteines in der 84 gebraucht wird. Grund für dieses Vorgehen war, dass bei dem Polizeieinsatz am 3. August vom Dach aus mit Steinen auf Polizeibeamte geworfen wurde.

Einen Tag nach der Aktion rückte die Polizei und die BSR im Auftrag des Tiefbauamtes an und nahm zwei Fahrradständer und zwei Blumenkübel mit, die seit Jahren vor den Häusern standen. Die Bewohner fühlen sich übergangen und belästigt.

Ebenfalls betroffen von dem Problem mit Lärmempfindlichen Mietern ist die benachbarte Cocktailbar EX, „obwohl es in letzter Zeit nicht mehr so schlimm ist“, so der Besitzer. Nach Angaben seiner Angestellten kontrolliere die Polizei aber sehr penibel, ob um 22 Uhr wirklich die Tische vom Gehsteig hereingeholt sind. Ein Teil der Gäste in der Cocktailbar wurde bei dem Polizeieinsatz am 3. August beteiligt. Als sich mehrere Leute vor der Polizei in die Cocktailbar flüchtete, stürmten Beamte hinein, warfen Stühle um und zerrten teilweise die Leute brutal von ihren Stühlen herunter. Mehrere Gäste erstatteten Anzeige gegen den Einsatzleiter.

Heute um 20 Uhr findet unter dem Motto „Ruhe ist störend“eine Demonstration statt, die am Bersarinplatz in Friedrichshain startet.

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