Das Geld, das aus der Hackerküche kam

■  In wenigen Tagen ist ein Vertreiber des Betriebssystems „Linux“ zu einem milliardenschweren Börsenrenner geworden. Aber auch Konzerne wie IBM und Intel wollen jetzt an der freien Software mitverdienen

Ein schwarzer Freitag war der 13. August 1999 ganz gewiss nicht. An der Wallstreet rissen sich die Händler um die Aktien der kleinen Firma „Red Hat“, die erst seit einem Tag im Handel waren. Die Broker trieben den Kurs zum Ende der Börsenwoche auf sensationelle 84 Dollar und 31 Cent – Red Hat hatte seine Anteile noch zum Einstandspreis von 14 Dollar angeboten. Das ist eine Steigerung von 270 Prozent, und mit einem Schlag hatte sich das Unternehmen einen Börsenwert von etwa 5 Milliarden Dollar zugelegt. Selbst abgebrühten Spekulanten wurde etwas mulmig dabei. Bei solchen Preisen könne man sich schon mal eine blutige Nase holen, warnte ein Analyst aus New Jersey, soviel wert sei diese Aktie nicht, und wie sie dieses Niveau erreicht habe, sei schlicht „nicht nachvollziehbar“.

Der Skeptiker irrt wahrscheinlich. Red Hat gilt in den USA seit langem als der wichtigste Vertreiber des freien Betriebsystems Linux. Die nach den Prinzipien von Richard Stallman von zahllosen Hackern meist ohne Entgelt entwickelte, dem steinalten Vorbild „Unix“ aus den Bell-Labs von AT&T nachgebildete Plattform für PCs und mittlere Server schickt sich an, selbst Microsoft Konkurrenz zu machen. Vor allem Mittelständler, die ihre EDV-Anlagen auf das Internetzeitalter umrüsten wollen und müssen, entscheiden sich immer häufiger gegen den Marktführer aus Redmond. Beobachter kommen zum Schluss, dass die Zuwachsraten von Linux inzwischen diejenigen von Microsofts WindowsNT übertreffen. Red Hat ist nur das erste Unternehmen der Linux-Szene, das von dieser Entwicklung selbst profitieren will. Es erreichte im letzten Jahr Umsatz von 108 Millionen Dollar und hat seine Bilanz mit einem bescheidenen Verlust von 130.000 Dollar abgeschlossen. Verglichen mit anderen Internetfirmen eine geradezu seriöse Gesellschaft also und nun der „Vorbote eines Geschäfts, das offensichtlich heiß ist“, wie ein anderer Analyst am vergangenen Freitag sagte.

Ganz so hatten sich Stallman und der Norweger Linus Torvalds ihren Erfolg wohl nicht vorgestellt. Aber die Gründerväter der freien Software werden nicht mehr um ihre Meinung gefragt. Als Torvalds im Juni vor Fachleuten einen Vortrag über „Softwareentwicklung in einer vernetzten Welt“ hielt, erntete er nur noch betretenes Schweigen. Die Branche interessiert sich nicht für Ideale. Sie setzt allein auf den Erfolg und hat – wenig überraschend – entdeckt, dass das kommunitäre Wirtschaftsmodell, das Stallmann vor 15 Jahren in seinem „GNU-Manifest“ beschrieb, dem Profitinteresse von Großkonzernen keineswegs widersprechen muss. Der Chiphersteller Intel hat angekündigt, Prototypen seiner kommenden Generation von 64-Bit-Prozessoren der Linux-Gemeinde zum Testen zur Verfügung zu stellen – in Erwartung weiterer fruchtbarer Zusammenarbeit nach dem Fall des für Intel bislang marktentscheidenden Monopols von Bill Gates. Silicon Graphics – auch kein Wohltätigkeitsverein – hat seine komplette, erst vor kurzem gegründete Entwicklungsabteilung für WindowsNT in eine Sondergesellschaft zur Abwicklung ausgelagert. Die sündhaft teuren Maschinen und Programme der Nobelfirma sollen nun hauptsächlich unter Linux laufen, ließ das Unternehmen verlauten.

Ein wenig spät wie immer schloss sich auch IBM dem Trend an. Ausgewählte Software von Big Blue gab es zwar schon länger für die Linux-Plattform zu kaufen, nun aber soll so gut wie alles dafür umgeschrieben werden und am selben Freitag, dem 13., lancierte der Weltkonzern seinen größten Coup: IBM wolle, heißt es in einer an diesem Tag verbreiteten Erklärung, die Blaupausen des sogenannten Mainboards für den Power-PC, den bislang hauptsächlich Apple vertreibt, ohne Lizenzgebühr an all die Computerbauer vergeben, die ihre Maschinen gleich mit einer vorinstallierten Linux-Plattform verkaufen.

Ausgerechnet dort, wo es am wenigsten zu erwarten war, trägt damit das Prinzip der freien Software Früchte. IBM kontert mit freier Hardware, in der vermutlich richtigen Erwartung, mit diesem Angebot gleich zwei Konkurrenten zu schlagen: Apple und Microsoft. Allein diese Chance schon scheint IBM den Verzicht auf die Lizenzen wert zu sein. An der wachsenden Nachfrage für Programme jenseits der Windows-Welt wird am Ende auch IBM verdienen, so die Kalkulation des Konzerns, der auf dem Markt der massenhaften Konsumenten ohnehin nicht viel zu sagen hat, sich aber immer noch sehr wohl zutraut, mit den Produkten aus der Gemeinde der Freien Softwareentwickler mitzuhalten. „Es ist ein völlig neues Geschäftsmodell“, kommentierte ein Analyst die Entwicklung an der Wallstreet, „das mit nichts zu vergleichen ist.“

Hinter dem Glanz von Linux beginnt bereits die Legende von Java zu verblassen, dem Softwarekonzept, das noch gestern als die große Lösung der Zukunft galt. Trotz hohen finanziellen und personellen Engagements in dem mit dem Erfinder Sun gemeinsam betriebenen Java-Entwicklungszentrum äußert sich IBM inzwischen auffallend vorsichtig. Aus gutem Grund: Letzten Monat kündigte die Firma Wyse, weltweit führender Hersteller spezialisierter Terminals für große Firmennetzwerke („thin clients“) an, die neue Generation seiner Geräte für Linux anzubieten. Die weitere Entwicklung von speziellen Maschinen für Java dagegen werde eingestellt. „Java hat nicht gehalten, was Sun uns versprochen hat“, formulierte der Chef von Wyse sein vernichtendes Urteil, vernichtend auch für die Strategie von IBM: Anders als PCs gehören hochwertige Terminals für Großrechner zum Standbein des Konzerngeschäfts.

Aber eine andere, längst totgeglaubte Legende hat das Linux-Fieber wieder aufgeweckt: Der bald 60 Jahre alte Brite Sir Clive Sinclair, der Anfang der 80er Jahre revolutionär billige Kleincomputer auf den Markt brachte, kehrt zurück. Er will er einen neuen, tragbaren Sinclair mit Linux-System bauen und zum halben Preis eines „vergleichbaren Windows-PC“ verkaufen, wie er dem Sunday Express verriet. Auch der rührige Geschäftsmann Sinclair macht sich keine Gedanken um hehre Theorie der freien Software. Für ihn zählt nur eines: „Der normale PC ist teuer wegen Intel und Windows, das einen enormen Arbeitsspeicher braucht. Mein PC wird billig sein, weil er nur wenig Speicher, einem billigen Prozessor und ein billiges Betriebsystem hat.“ Niklaus Hablützel

niklaus@taz.de