: Gemeinsamer Kampf gegeneinander
Nur wenn die Großdemonstration heute in Belgrad ein Erfolg wird, besteht überhaupt eine Chance auf einen Wandel. Doch die Opposition ist verzankt. Gemeinsame Forderungen gibt es nicht ■ Aus Belgrad Andrej Ivanji
Nur in einem sind sich Serbiens Oppositionelle einig: Die seit langem pompös angekündigte Großdemonstration heute abend um 19 Uhr vor dem jugoslawischen Bundesparlament in Belgrad wird zeigen, ob die Bevölkerung zu einem Wechsel wirklich bereit ist. Zwar werden fast alle relevanten Oppositionsparteien und die serbisch-orthodoxe Kirche vertreten sein, doch jede Gruppierung wird ihre eigene Auffassung von einem Wandel präsentieren.
Wie viele dem Aufruf folgen werden, ist ungewiss. Die Belgrader sind meist skeptisch. Zu frisch sind die Erinnerungen an all die Massendemonstrationen vom Winter 1996/97, deren Wirkung die verzankte Opposition leichtfertig verspielt hat. „Die Enttäuschung, die Wut auf das Regime, der Wunsch nach einem besseren Leben sind riesig“, sagt der Taxifahrer Dragan. Die Opposition wisse einfach nicht, was sie wolle.
Der populäre jugoslawische Ex-Generalstabschef Momcilo Perisic der die „Bewegung für ein demokratisches Serbien“ gegründet hat, wird nicht teilnehmen. „Wir verstehen einfach die Ziele dieser Massenkundgebung nicht“, erklärte sein Sprecher. „Wir unterstützen jedoch alle Kräfte, die Miloševic zum Rücktritt zwingen wollen.“ Perisic wurde im Herbst 1998 abgelöst, weil er gegen einen Krieg mit der Nato war.
So werden viele Oppositionsführer zwar gemeinsam, doch gegeneinander, mehr für sich werbend, als gegen das Regime auftretend, vor dem Bundesparlament erscheinen.
„Miloševic und sein Regime werden niemals freiwillig die Macht hergeben. Deshalb setzen wir uns für eine friedliche Revolution ein, für Massenproteste, Streiks, Blockaden und zivilen Ungehorsam“, sagt Zoran Djindjic, Chef der Demokratischen Partei (DS). Denn „nur das Volk, und keine Verhandlungen oder Konzepte, kann Miloševic zum Rückzug zwingen“. Die offizielle Organisatorin der Massenkundgebung, die als „G 17“ bekannt gewordene Gruppe unabhängiger Wirtschaftsexperten, glaubt, mit dem Regime eine Übergangsregierung aushandeln zu können, was Zoran Djindjic für unrealistisch hält.
Der monarchistische Wirrkopf Vuk Draskovic, jugoslawischer Ex-Vizepremier und das Oberhaupt der Serbischen Erneuerungsbewegung (SPO), hat ebenfalls seine eigenen Vorstellungen. Er weiß, daß seine SPO derzeitig sehr gut dasteht – nach jüngsten Umfragen bei 18,1 Prozent –, und setzt sich deshalb ausschließlich für vorzeitige Neuwahlen ein. Er selbst wird heute nicht auftreten, ist grundsätzlich gegen Straßenproteste, schickt aber als „Zeichen des guten Willens“ einen Vertreter.
Viel Wirbel hat in Belgrad die Anklage gegen die pazifistische Oppositionpolitikerin Vesna Pesic ausgelöst. Ihr wird „Anstiftung zu gewalttätigen Unruhen“ vorgeworfen. „Die wollen doch nur dem Volk Angst einjagen“, sagt sie.
An harschen Worten seitens des Regimes fehlt es nicht. So erklärte der Vizepräsident der serbischen Regierung, Milovan Bojic, die Opposition wolle mit der Massendemonstration nichts anderes erreichen, „als die KFOR aus Priština nach Belgrad zu bringen“.
„Der eindeutige Beweis dafür ist, daß diese Verräter Clintons Geburtstag am 19. August mitten in Belgrad feiern“, brüllte jüngst der Ultranationalist und Radikalenführer Vojislav Šešelj. Gestern bot er der Opposition im Staatsfernsehen vorgezogene Wahlen an. „Wir können sofort darüber reden, die Opposition kann den Termin auswählen, aber sie wünscht keine Wahlen, weil sie sie nicht gewinnen kann.“ Und Kommandant der früher im Kosovo stationierten Dritten Armee, General Nebojsa Pavkovic, warnte erneut: „Wir werden gegen jegliche gewalttätige Veränderungen kämpfen.“
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