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Invasion „trotteliger Teenies in Kimonos“

Auf den Straßen von Japans ehemaliger Kaiserstadt wandeln falsche Geishas. Die Traditionalisten sind empört. Doch das Geschäft mit der Verkleidung boomt und begeistert männliche Touristen  ■   Aus Kioto André Kunz

Japans ehrwürdige Kaiserstadt Kioto erlebt derzeit ein skandalträchtiges Schauspiel. Es sei ein Drama, sagen ältere Frauen. Männliche Traditionalisten nennen es ein Trauerspiel. Leitmotiv ist der Zusammenprall von Tradition und Moderne. Schauplätze der Vorführung sind Tempel, Altstadtgassen, Teehäuser und Studios. Ausschließlich Frauen spielen die Hauptrollen – und auf dem Spiel steht der Ruf der Geishas.

Das Drama hat eigentlich schon vor 15 Jahren begonnen: Ein Vergnügungspark nahe dem traditionellen Gion-Viertel hatte eine neue Attraktion ausgeheckt. In einem eigens eingerichteten Studio konnten sich junge Touristinnen fortan als Geisha-Lehrlinge – so genannte Maikos – verkleiden und fürs Erinnerungsalbum fotografieren lassen. Das Programm wurde vor fünf Jahren erweitert. Kurze Spaziergänge im Geisha-Kostüm rund um den Freizeitpark werden seither als zusätzliche Attraktion geboten.

Heute bieten 40 Studios die Maiko-Transformation zu erklecklichen Summen an. Täglich wandeln rund 300 falsche Maikos in Tempeln, Gassen und Teehäusern der Stadt. Für den ungeübten Blick vieler männlicher Touristen sind sie eine Augenweide, die oft mit einem Griff zur Kamera verewigt wird. Anders wirken die falschen Maikos auf ältere Einheimische: In Leserbriefen wettern sie gegen die Invasion dieser „trotteligen Teenies in Kimonos“.

Die Einwohner von Kioto sind stolz auf ihre noch verbliebenen hundert echten Geishas, weil sie wissen, wie schwierig der Weg zur Perfektion ist. Eine junge Frau durchläuft vier Jahre Grundausbildung, die mindestens 70.000 Mark verschlingt, bevor sie das erste Mal als professionelle Unterhalterin vor einem ausgesuchten Kreis von gut zahlenden Kunden auftreten darf.

Diese Maikos beginnen im Alter von 16 Jahren mit der Ausbildung und lernen jede Bewegung ihres Körpers zu beherrschen und jedes Wort abzuwägen, um so später eine vollkommene Harmonie zwischen Wort, Bewegung und Beziehung zum Gast zu schaffen: Darüber hinaus erlernen sie traditionelle Künste. Die Teezeremonie, das künstlerische Stecken von Blumen und das Spiel auf der Schamisen, einem dreisaitigen Zupfinstrument, müssen sie ebenso beherrschen wie den traditionellen Tanz.

Die als Geishas verkleideten Teenies dagegen kichern und kreischen, führen laute Gespräche per Handy, essen beim Gehen und rauchen unter freiem Himmel. „Es ist, als ob man ins Handy blökende und Bier trinkende Teenies in Paris als Ballerinas verkleidet vor die Opéra triebe“, meint ein Geschichtsprofessor. Doch die Stadt tut sich schwer mit einem Verbot. Denn die Maiko-Studios sind eine der wenigen Erfolgsgeschichten im Tourismusbetrieb der Stadt. So empfahl die Tourismusbehörde, die falschen Maikos mit Schildern um den Hals als Imitationen zu kennzeichnen.

Die Besitzerin des Studios Schiki findet den Schilderzwang übertrieben: „Damit verliert die Maiko-Verkleidung an Reiz.“

Im Shiki werden pro Tag rund 20 Teenager in falsche Maikos verwandelt. Sie kommen aus allen Ecken des Landes und blättern für die 40-minütige Umkleide- und Schminkprozedur zwischen 170 und 390 Mark hin. Für geübte Augen ist ihr Anblick ein Graus. „Der Obi, das heißt der Kimonogürtel, ist falsch gebunden. Die Unterlippe geschminkt – wie nur bei voll ausgebildeten Geishas. Und dann die Stellung des Kopfes und der verdrehte Hals“, seufzt eine 67-Jährige.

Welch ein Kontrast, wenn eine echte Geisha im Abendwind vor einem Teehaus aus einer schwarzen Limousine steigt. Jede Bewegung der Frau ist sorgfältig abgewogen. Die weiß bestrumpften Füsse in traditionellen Sandalen werden zentimetergenau auf die Straße gesetzt, damit der Körper in vollkommenem Gleichgewicht aus dem Wagen gleitet. Eine mit Nadeln gesteckte Wolkenfrisur thront über einem langen weißen Schwanenhals. Der farbige Kimono, mit leuchtend goldenem Gürtel gebunden, wallt bis knapp oberhalb der Knöchel. Sekunden nur, dann verschwindet die Frau hinter einer Schiebetür, die sich leise schließt.

Die Art, wie ein Fächer gehalten wird, die Tonlage der Stimme, den Winkel des Halses, wenn dem Kunden ein Sake gereicht wird – all dies haben diese Frauen in jahrelanger Übung perfektioniert. Nur Kunden mit Raffinesse und einem dicken Geldbeutel können sich Momente in dieser so genannten „Welt der Blumen und Weiden“ leisten. Für eine Stunde geistreicher Konversation und verfeinerten Service während eines Abendessens zahlen japanische Kunden umgerechnet mindestens 650 Mark für eine professionelle Geisha.

Diese wirklich feinen Damen tragen das Drama um die Instant-Geishas von Kioto mit Fassung: Eine altehrwürdige Okaa-san, wie die Geisha-Mütter genannt werden, hat dieser Tage Nobuo Hatanaka besucht, den Vorsitzenden der Maiko-Studio-Vereinigung. Sie kritisierte weder das Maiko-Geschäft noch die schlechten Manieren der Kundinnen. Sie bot Hatanaka nur freundlich an, den Angestellten der Maiko-Studios Manieren und Etikette beizubringen.

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