piwik no script img

Schulungen für Vergewaltigungen

■ Im Kosovo wurde sogar noch grausamer gefoltert als in Bosnien, sagt Sibylle Rothkegel vom Berliner Behandlungszentrum für Folteropfer

Sibylle Rothkegel (52) ist Psychotherapeutin und behandelt seit Jahren Folteropfer – unter anderem aus dem Kosovo, der Türkei und aus Bosnien. Auch früheren Stasi-Opfern hilft sie.

taz: Kann man den kosovarischen Folteropfern vor Ort überhaupt helfen?

Sibylle Rothkegel: Ich war im Kosovo: Selbst unter den einheimischen Fachleuten für die Behandlung von Folteropfern gab es Opfer von Folter. Nach übereinstimmenden Aussagen vieler Augenzeugen und Folterexperten, etwa von medica mondiale aus Köln, mussten auffallend viele Kosovo-Albanerinnen mitansehen, wie ihre eigenen jungen Töchter vergewaltigt worden sind. Folter ist nach Definition der Anti-Folter-Konvention der UNO bereits das Mitansehen von Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Wurde im Kosovo Folter systematisch eingesetzt?

Es wurde alles eingesetzt, um große Massen systematisch zu vertreiben. Und da war natürlich Folter eines der Mittel. Das sind Strategien, die schon in Bosnien angewandt wurden und – obwohl es kaum vorstellbar ist – eher jetzt noch grausamer waren. Viele Frauen haben gesagt: Schon die Angst vor der Vergewaltigung hätte sie schier um den Verstand gebracht. Das sind alles Mittel zur „ethnischen Säuberung“, und zwar für eine langfristige Vertreibung. Es gab sogar richtige Schulungen für Vergewaltigungen.

Schulungen?

Da wurden Vergewaltigungen aufgenommen, dann wurden in den Einheiten Videos gezeigt und gesagt: So wird das gemacht. Auch um die Soldaten aufzugeilen und ihnen zu zeigen, wie man Frauen demütigen kann.

Gibt es dafür Belege?

Die Existenz von solchen Schulungsvideos ist unter Fachleuten allgemein bekannt, auch in Den Haag. Ich habe das auch von einer Patientin gehört, die ich behandle. Die wurde von mehreren Männern vergewaltigt. Einer von ihnen mochte sie irgendwie und hat ihr von den Videos erzählt. Warum auch immer. Außerdem habe ich dies noch einmal durch ein amerikanisches Behandlerteam bestätigt bekommen, das solche Beschreibungen von seinen Patientinnen gehört hat.

Wurden auch Männer vergewaltigt?

Sicherlich. Auch bei den Folterungen in der Türkei ist das der Fall. Da werden Männer, nach den Einschätzungen mehrerer Menschenrechtsorganisationen, fast in so großem Maße wie die Frauen vergewaltigt. Man kann davon ausgehen, daß es im Kosovo genauso war. Bei unserer täglichen Arbeit mit Kosovaren reden wir auch mit Männern, die vergewaltigt wurden. Aber es dringt noch weniger an die Öffentlichkeit als bei Frauen. Die Schamschwelle ist noch höher.

Der Berliner Innensenator Eckart Werthebach (CDU) sagt, die Kosovo-Albaner sollten heimkehren – sonst werde es zu einer „konsequenten Rückführung“, also Abschiebungen, kommen. Ist das zu verantworten?

Nein, ich finde es absolut unverantwortlich, so etwas überhaupt in den Mund zu nehmen. Die, die wir hier behandeln, leiden an furchtbarem Heimweh. Die würden nichts lieber machen, als zurückzukehren, wenn sie irgendwie könnten.

Interview: Philipp Gessler

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen