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Drohungen gegen Russen in Orahovac

■ Heute rücken die ersten russischen Soldaten in die Stadt im Westen des Kosovo ein

Orahovac (taz) – Als sich am Samstagnachmittag rund 5.000 Menschen in Orahovac versammelten, um gegen den Einsatz russischer Truppen zu demonstrieren, reagierten die dort stationierten deutschen und niederländischen KFOR-Truppen nervös. Die Demonstration verlief zwar friedlich, und auf den mitgeführten Spruchbändern wurde nicht grundsätzlich gegen die KFOR Stellung genommen. Die Parole „Russen nein, Nato ja“ lassen jedoch die Sicherheitsexperten der KFOR Schlimmes ahnen. Denn heute sollen die ersten russischen Soldaten in Orahovac einrücken.

Die albanische Bevölkerung der im Westen des Kosovo im deutschen Sektor liegenden Stadt hat schon vor Wochen 20.000 Unterschriften gegen den Einsatz der russischen Truppen auf dem Gebiet ihrer Gemeinde gesammelt und dem Oberkommandieren der Nato in Europa, General Wesley Clark, übermittelt. Sie will keine russischen Truppen auf dem Gebiete des Bezirkes vor allem deshalb, weil russische Freiwillige auf Seiten der serbischen Armee gekämpft haben.

200 Russen sollen in Orahovac stationiert gewesen sein. „Sie haben bei den Massakern im Juli letzten Jahres und bei den Massakern in den umliegenden Dörfern im Frühjahr dieses Jahres Menschen und sogar Kinder umgebracht“, erklärten mehrere Demonstranten. Insgesamt seien im Bezirk 2.500 Menschen von Serben und Russen ermordet worden, die 13 Massengräber zeugten davon. Einige der russischen Freiwilligen seien in dem von rund 1.000 Serben gehaltenen Teil der Stadt und dem nahe gelegenen serbischen Dorf Velika Hoca, wo 3.000 Serben leben, untergetaucht.

„Wir werden die Stationierung der russischen Truppen mit Straßenblockaden verhindern, die Bevölkerung wird gegen die russischen Truppen aufstehen“, erklärte Jahja Shehu, Mitglied des ortsansässigen Derwisch-Ordens und einflussreicher Bürger der Stadt. Noch deutlicher wurde der Kommandeur der UÇK, Izmet Tara.

„Wir wollen keinen Konflikt. Wenn die KFOR aber Gewalt anwendet, um die Straßensperren zu durchbrechen, werden wir unsere Menschen zu schützen wissen.“

Tara ließ offen, ob dies den Einsatz von Schusswaffen bedeutet, er ließ aber keinen Zweifel daran, dass die UÇK-Kämpfer bereit seien, mit allen Mitteln vorzugehen, wenn es wirklich zur Stationierung der Russen käme. Die Entscheidung für den Einsatz der Russen ist aber endgültig gefallen. Der Kommandeur der für Orahovac zuständigen niederländischenTruppen, van Louben, erklärte, ab dem heutigen Montag würden in einem Zeitraum von 14 Tagen 600 bis 800 russische Soldaten in dem Bezirk und der Stadt Orahovac stationiert. Angesichts der zu erwartenden Konflikte könnte die öffentliche Sicherheit gefährdet werden. Er bestätigte indirekt, dass russische Freiwillige in Orahovac auf Seiten der Serben eingesetzt waren. Nachdem aber der Nato-Oberkommandierende Javier Solana die Niederländer gebeten habe, für die Russen im Raum Orahovac Platz zu machen, hätte die niederländische Regierung am letzten Samstag ihre Bedenken zurückgezogen.

Die Entscheidung für den Einsatz der Russen, so der nielderländische Kommandeur weiter, sei schon zu Beginn des KFOR-Einsatzes bei den Verhandlungen in Helsinki zwischen den USA, der EU und Russland auf höchster Ebene getroffen worden. Bis zum Einsatz der internationalen Polizei bliebe jedoch eine Einheit deutscher Soldaten in der Stadt, die wie bisher Polizeifunktionen wahrnehmen würde.

An der Entscheidung ist also nicht mehr zu rütteln. Der Wunsch der Russen, ausgerechnet in Orahovac stationiert zu werden, entspricht auch den Wünschen der Belgrader Führung und jenen der Serben in der Region. In Velika Hoca und dem serbischen Stadtteil von Orahovac wird die Stationierung der russischen Truppen lebhaft begrüßt. Die Serben erhoffen sich von dem Einsatz der Russen größere Sicherheit.

Die niederländischen und deutschen KFOR-Truppen haben die Serben mit ihrer Präsenz zwar vor Übergriffen von Seiten der Albaner beschützt, doch mit den Straßenkontrollen auch in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. So konnten bis heute die Autos, die serbische Paramilitärs den Albanern gestohlen haben, nicht nach Serbien transferiert werden. Dass zudem am letzten Freitag drei von Den Haag gesuchte serbische Kriegsverbrecher – vermutet werden über 60 Kriegsverbrecher in dem Ort – von deutschen Truppen in Orahovac festgenommen und Waffen und Munition sichergestellt wurden, lässt die Serben auf einen Kontingentwechsel hoffen.

Schon gibt es Drohanrufe. Sowohl der UÇK-Kommandeur Tara wie auch andere Bürger erhielten Anrufe, in denen ihnen erklärt wurde, nach dem Einrücken der Russen würden die Serben die Macht in der Stadt wieder übernehmen. „Wir werden es euch Shiptari schon zeigen“, soll einer der Anrufer gedroht haben.

„Die russischen Truppen werden unter deutschem Befehl stehen und wie die anderen KFOR-Truppen auch handeln“, wiegelte der Pressesprecher der KFOR-Truppen, Michalski, in Prizren ab. In Wirklichkeit aber schrillen im deutschen Oberkommando die Alarmglocken. Eine Abordnung deutscher Offiziere versuchte noch am Samstag, die Albaner zu beruhigen und von den geplanten Aktionen abzuhalten. Bisher erfolglos.

„Wir werden den Einsatz russischer Truppen auf dem Gebiet des Bezirks Orahovac nicht zulassen“, erklärten die albanischen Repräsentanten nach dem Gespräch. Sie drohen damit, dass sie kämpfen werden. Die Bürger von Orahovac, so scheint es, gehen nach all den Erschütterungen der Vergangenheit erneut unruhigen Zeiten entgegen. Erich Rathfelder

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