: ManU? Jetzt geht's erst richtig los!
Nach dem 0:2 in Leverkusen fragt sich der FC Bayern München, wie das denn damals funktioniert hat mit dem Friedefreudeeierkuchen ■ Aus Leverkusen Katrin Weber-Klüver
Es war einmal ein Fußballverein, der war der berühmteste und erfolgreichste im ganzen Land. Einmal kam ein Jahr, da spielte der Verein so schön und erfolgreich zugleich, dass alle anderen ehrfurchtsvoll staunten. Und im Verein waren sie glücklich zusammen und lobten sich gegenseitig, und alles war Friedefreudeeierkuchen. Natürlich gewann der Verein die Meisterschaft. Das war im Mai 1999. Wenn sich der Trainer heute an diese seligen Zeiten erinnert, sagt er: „Das letzte Jahr war wie ein Märchen.“ War. Mit anderen Worten: Es ist vorbei.
Das Glück des FC Bayern München endete jäh an einem Frühlingsabend in Barcelona. Es folgten Hohn und Spott und dann die Sommerpause. Allerspätestens vorgestern in Leverkusen hat der Alltag Ottmar Hitzfeld und seine Stars, die vielleicht gerade nur Sternchen sind, endgültig eingeholt. Am Sonntag hat Bayern gegen seinen mutmaßlich stärksten Konkurrenten im Titelkampf verloren. 0:2. Und was das Bemerkenswerteste daran ist: Es war eine hoch verdiente Niederlage. Jens Jeremies wusste es sofort: „Wenn man selbst keine Torchance hat, kann man nicht gewinnen.“ Sie hatten zwar Torchancen, aber tatsächlich nur wenige und keine, die gut herausgespielt war.
Die Gegner konnten kaum glauben, wie leicht ihnen der Sieg gefallen war. Seit Christoph Daum Bayer trainiert, hat die Mannschaft Bayern in vier Heimspielen dreimal geschlagen. Die zwei Siege zuvor, ein 5:2 und ein 4:2, waren Spektakel gewesen, Spiele, die Bayer gewonnen hatte, weil sie genau diese Spiele gegen Bayern, die großen Bayern, eben unbedingt gewinnen wollten. Das Spiel am Sonntag war eine Demonstration anderer Art. „Souverän herausgespielt“, konstatierte Manager Reiner Calmund und Kapitän Jens Nowotny staunte, dass sein Team „Bayern München über 90 Minuten beherrscht“ hatte. Christoph Daum, der sich beim Abpfiff zu einer kleinen Beckerfaust hinreißen ließ, ansonsten aber versuchte, betont cool zu bleiben, lobte seine Mannschaft, indem er Bayern lobte: „Sie sind das Maß, an dem auch wir uns orientieren und an dem wir uns vorbeimogeln wollen.“
Viel mogeln muss Leverkusen im Moment aber gar nicht. Bayer ist besser in die Saison gestartet als Bayern, obwohl auch in Leverkusen Verletzungsausfälle zu beklagen sind und obwohl in der Vorbereitung die halbe Mannschaft gefehlt hat. Der große Unterschied zwischen den beiden Vereinen, so scheint es, ist Stefan Effenberg. Ohne Effenberg geht bei Bayern gar nichts. „Er fehlt und hinten und vorne“, wehklagte Manager Uli Hoeneß nach der Niederlage. Hitzfeld nannte diesmal nicht den Namen des Spielers, den er für den besten Mittelfeldmann der Welt hält, wohl aber das Problem, das entsteht, wenn er abwesend ist: „Wir haben im Mittelfeld nicht die Impulse nach vorne geben können, um das Spiel zu entscheiden.“
Bei Leverkusen ist die Last besser verteilt. Auch wenn an diesem Tag Emerson aus dem defensiven Mittelfeld heraus ein großartiges Spiel machte und seine Übersicht unter anderem mit den Vorlagen zu beiden Toren unter Beweis stellte. Aber Bayer ist nicht abhängig von Emerson, wie es Bayern von Effenberg ist, der die Fäden auf dem Spielfeld zieht und gemeinsam mit Lothar Matthäus die Elf dirigiert. Auch Matthäus fehlte in Leverkusen wegen Zipperlein, die immer untrüglicher zeigen, dass es Zeit für den Ruhestand in Amerika ist. Nur hat Bayern noch niemanden gefunden, der anstatt der beiden weisungsbefugt sein könnte.
Bei Leverkusen ist das anders. Hier wird die Verantwortung verteilt, hier gibt es keinen, mit dem alles steht und fällt, sondern viele, die als Gefüge funktionieren. Das ist wahrscheinlich die größte Leistung von Christoph Daum: dass er in den letzten drei Jahren eine Mannschaft zusammengestellt hat, deren Binnenstruktur intakt ist, die spielerisch immer stärker wird und dazu eine Spielidee entwickelt, die sich durch Systemvariabilität (am Sonntag 3-4-3) und offensive Ausrichtung auszeichnet. In Schönheit zu siegen gelingt Bayer von Jahr zu Jahr besser.
Wobei zur Schönheit besonders die drei Brasilianer beitragen. Zu Emersons nüchterner und so erfolgreicher Spielführung gesellten sich gegen Bayern vornehmlich in der ersten Halbzeit Kabinettstückchen von Zé Roberto und Ponte. Das war zwar oft eher ein Spiel „für die Galerie“ (Nowotny), aber: Warum auch nicht? Wenn sich das verspielte Halbverständnis der beiden erst mal in blindes Verständnis wandelt, werden ihre Einlagen auch zählbare Erfolge haben. Und das ist dann ein weiterer Baustein beim Bayer-Unternehmen Meisterschaft.
So viel jedenfalls steht fest: Der Sieg über Bayern war „psychologisch sehr wichtig“ (Calmund) und „man kann Selbstvertrauen draus ziehen“ (Nowotny). Bei den Bayern dürfte die Gemütslage diametral entgegengesetzt sein. „Ruhe bewahren“ und „dass jeder Spieler über sich nachdenkt“ (Hitzfeld), ist in München nun erste Pflicht. Niemand weiß, ob das gelingt, außer einem. Hoeneß sagte: „Unser Selbstvertrauen ist nicht zu erschüttern.“ Aber der Manager hat wahrscheinlich an einem Frühlingstag in Barcelona auch gedacht, jenes Spiel sei nicht mehr zu verlieren.
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