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Klassenkampf und Schnuckschnuckschnuck

■ Oder: Warum es ratsam ist, sich immer gut zu überlegen, wo man in öffentlichen Verkehrsmitteln Platz nimmt

Gürzenich. Wurgs, klingt wie Diarrhö im Volksmund. Ist aber wohl was anderes. Schließlich nennt die Bundesbahn einen Intercity so, der wochentags zwischen Köln, Bremen und Hamburg verkehrt. Und IC Durchfall – kaum anzunehmen, dass das „Unternehmen Zukunft“ nun auf diese Weise Farbe bekennen will.

Neulich also, im IC Gürzenich, machte es, kurz nachdem ich die Rosette komfortabel im 2. Klasse-Nichtraucherabteil plaziert hatte, hinter mir „Pillipillipip“. Der Tag war gelaufen: Ein Handy inklusive Besitzerin und einer Fönwelle als Begleiter direkt hinter mir! Idiot, dachte ich. Wo war ich nur mit meinen Gedanken, als ich mir den Sitzplatz gesucht hatte. Und schon war es passiert: Ein Anflug von Gürzenichgefühl pfiff durch meine Darmverschlingungen.

„JaHalloSchatzwiegehtesdir?“, trompetete die Frau mit knapp 120 Dezibel ins Handy. Es galt, den Realitäten schonungslos ins Auge zu blicken: Die nächste Stunde würden sich dummes Palaver mit Mini-dramen abwechseln, und das vor meinen unschuldigen Hörmuscheln. O Herr, warum hast du mich verlassen? – Keine Antwort. Typisch Herr.

Schatz ging es gut. Wenigstens was. Und er kauft auch die Trüffel für die „leckere Spaghettisauce“. Toll, Schatz. „Schnuckschnuckschnuck, Schatz“, brüllte sie zum Abschied. „Bis heute Abend.“ Schnuckschnuckschnuck? Wunder der Gentechnik: Auch Holzköpfe können nun offenbar telefonieren.

„Kannst du etwa kochen?“, meldete sich Fönwelle erstaunt zu Wort. „Du, ich hab' schon ääähwig“ – solche Menschen können ewig einfach nicht aussprechen, wie man es auspricht“ – „nicht mehr gekocht. Aber wenn es nicht gelingt, schütten wir das Zeug einfach ins Klo und gehen rüber zu 'Tonio'. Den kennst du doch auch. Der macht so herrliche Saucen.“ Das Gürzenichgefühl wurde stärker.

Nächste Woche fliegt sie nach Palm Springs. War schließlich schon „ääähwig“ nicht mehr im Urlaub. Zuletzt im Februar für ein paar Wochen in Brasilien. Eine einzige Enttäuschung. „Der Swim-mingpool war winzig. Und die Gegend: Öööde, wie die Wümmewiesen. – Im Nebel! Hahaha ...“ Wow, Holzkopf. Spitzenpointe.

„Kennst du Palm?“ Sie schrie es „Puohllm“ aus. Aber ich verstand sie trotzdem. Fönwelle: „Sicher. Herrlich da. Wetter, Shopping – alles top. Bin mal übers Wochenende rübergeflogen.“ Übers Wochenende. Und offensichtlich auch wiedergekommen. Offensichtlich müssen die Flieger nach Palm doch nicht übers Bermudadreieck rüber. Schade auch.

„Fliegst du allein?“ „Nein. Mein Schatz (der Schnuckschnuckschnuck!) kommt mit. Falls er nicht für die Firma kurzfristig nach New York muss.“ Oder, was wahrscheinlicher ist, sich beim Trüffelkaufen schnuckschnuckschnuck den Hals bricht. Wrumms! Es war so weit: Voll den Gürzenich in der Hose.

Was tun? Meine für derartig ausweglose Situationen wie geschaffene Armbrust hatte ich dummerweise im Nachttischschränkchen liegen gelassen. Und für die Flucht in ein anderes Abteil war ich schon zu sehr geschwächt. Blieb also nur die Flucht in die süße Welt der Gedanken, bis hin zur Frage aller Fragen: Warum saß dieses Gesocks nicht, wie es sich nach Pierre Bourdieu für klassenbewusstes Gesocks gehört, im 1. Klasse-Abteil neben dem Laptopanschluss und ließ sich vom zuvorkommenden Zugbegleiter heißen Kaffee und „Fit for Fun“ direkt am Platz servieren? Wofür zum Teufel gibt es überhaupt Zugklassen, wenn sich die Leute einfach nicht mehr an die seit vielen Jahren bewährte und standesgemäße Sitzordnung halten? Warum das alles? Warum?

Wie immer, wenn man dem, was die Welt im Innersten zusammen hält, gerade auf der Spur ist, wird man abgelenkt. Ein Engelchen, so dünkte es mich, flog plötzlich durchs Abteil, hielt genau neben mir inne und sprach: O, du vom Schicksal so übel gepeinigtes Wesen, du. Dein Flehen wurde erhört. Gott schickt dir diesen Eimer, bis oben hin gefüllt mit Gürzenich. Du weißt, was nun zu tun ist.“ Natürlich wusste ich, was zu tun ist. Schwupps – und Fönwelle, Schnuckschnuckschnuck und Handy waren unter einer übel duftenden Masse, die farblich allerdings glänzend mit dem Teint der Fönwelle harmonierte, verschwunden. Endlich, endlich Ruhe, dachte ich. Doch das lang ersehnte Glück währte nur für Sekunden.

„Pillipillipip.“ „Hallo, Schatz! Waaas? Du hast dir beim Trüffelkaufen den Hals gebrochen? Wie schräääcklich. Was wird jetzt aus unserem Trip nach Puohllm?“ Ob 'Tonio' die Sache nicht noch mit einer seiner prächtigen Saucen kitten könnte?

Morgen, so viel ist klar, nehme ich den Interregio „Bruchsal“. 1. Klasse natürlich. Andererseits: „Bruchsal“ – klingt das nicht wieder verdächtig nach Durchfall?

Franco Zotta

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