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Von See zu See im Paddelboot

taz-Serie „Der See ruft“ (vierter und letzter Teil): Am Stienitzsee in Hennickendorf erwartet den Berliner alles, was das Großstadtherz begehrt. Der nahe Kalksteinbruch ist heute Museumspark und Expo-Projekt    ■ Von Susanne Klingner

Neben dem Parkplatz steht ein kleines Holzgebäude, das Kassenhäuschen. Die Frau darin weist den Weg: „Immer den Plattenweg entlang, um die Ecke, und dann sehen Sie es gleich.“ Und da liegt er auch schon: ein leuchtend blauer See, umsäumt von Bäumen, ein halbes Dutzend Boote schaukeln in der Sonne.

An den kleinen weißen Sandstrand des Stienitzsees kommen an heißen Wochenenden bis zu 2.000 Menschen, sagt Heiko Wehrmann von der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft (DLRG). Die meisten Badegäste sind Berliner. Sie brauchen nicht einmal eine Dreiviertelstunde, um aus der City hierher zu fahren. „Vier Meter tief kann man ins Wasser gucken“, erzählt Heiko Wehrmann stolz, schließlich war das Wasser nach der Wende trüb bis dreckig: „Gerade mal ein bis eineinhalb Meter Sicht hatte man damals“, erinnert sich der Wasserwachtler. Zu DDR-Zeiten lagen eine Kaserne der NVA und eine Kläranlage direkt neben dem See. „Die haben halt ihr Zeug einfach reingeleitet“, sagt Wehrmann.

Heute ist davon nichts mehr zu sehen. „Der See hat sich nach und nach erholt“, sagt Heiko Wehrmann, „ich habe hier letztes Jahr 23 Krebse gezählt und auch Schwäne, Fisch- und Graureiher habe ich schon gesehen.“

Ein Teil des Ufers ist Naturschutzgebiet. Hier mündet auch ein acht Kilometer langer Kanal, der den Stienitz- mit dem Kalksee verbindet. Er wurde gebaut, um Steine vom nahe liegenden Kalksteinbruch bei Rüdersdorf nach Berlin zu bringen. So konnte man ein Vielfaches der Menge transportieren, die man zuvor mühsam per Pferdegespann befördern musste. Seit mehr als 750 Jahren wird in Rüdersdorf Kalkstein abgebaut. Von hier kam das Material für das Brandenburger Tor, für Schloss Sanssouci in Potsdam und zahlreiche andere Bauwerke im Berliner Raum.

Durch die Verbindung der beiden Seen sank der Wasserspiegel des Stienitzsees, und er verlor etwa die Hälfte seiner Fläche. Trotzdem ist er heute mit seinen vier Kilometern Länge und einem Kilometer Breite ein gefragter Badesee.

Und auch der Kanal wird immer noch genutzt: Alle zwei Wochen, immer mittwochs, fährt ein Unterhaltungsdampfer mit dem passenden Namen „Rhein“ die Strecke entlang, auch Paddeln und Rudern ist erlaubt. So lädt der Kanal ein, gleich auf dem Wasser zu bleiben und mit dem mitgebrachten Schlauchboot oder anderen Gefährten nach Rüdersdorf zu schippern. Hier ist aus dem alten Kalkstein- und Zementwerk ein Museumspark geworden.

Es gibt einen Rundgang durch das Gelände, auf dem die original Produktions- und Verwaltungsbauten erhalten geblieben sind. Sie zählen zu den bedeutendsten Industriedenkmalen Deutschlands. Der Museumspark ist ein Expo-Projekt, und dem entsprechender Aufwand wird hier betrieben. Eine historische Führung ist möglich oder auch eine Fahrt mit einem Jeep durch den Tagebau, außerdem gibt es eine Untertageausstellung, Schausprengungen und Angebote für Kids.

Wieder zurück am Stienitzsee findet man am Nordwestufer Natur pur. „Immer im Frühling gibt's eine ganze Wiese voll Leberblümchen. Die stehen jetzt unter Naturschutz, weil sie so selten sind“, freut sich der DLRG-Mann.

Die Umgebung heißt bei den Einheimischen „Thyssen“. Die Industrie brachte den Wohlstand nach Hennickendorf. So konnte man sich schmücken und mehrfach den Preis für „das schönste Dorf“ gewinnen. Auch eine eigene Mineralwasserquelle gab es hier mal, die Ruine vereinsamt direkt neben dem Strand.

Die Urigkeit des Sees könnte mit einem Schlag vorbei sein, wenn im nächsten Jahr ein Spaßbad entsteht. Die Gemeinde Hennickendorf hat das Stück Strand gekauft und plant ein Mini-Blub am Hang, zu dessen Komplettierung auch eine Rutsche am Strand nicht fehlen darf.

Anfahrt: Mit dem Auto aus Berlin kommend über die B1/B5 Richtung Strausberg, hinter Rüdersdorf nach Hennickendorf einbiegen, nach vier Kilometern ist auf der linken Seite die Einfahrt zum Strandbad. Mit der S-Bahn und dem Fahrrad bis S-Bahnhof Strausberg, dann Richtung Hennickendorf, nach dem Ortsausgang ist auf der rechten Seite die Einfahrt zum Strandbad.

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