: Die Trümmerfrauen unserer Wälder
In den Aufbaujahren forsteten Kulturarbeiterinnen in Deutschland hunderttausende Hektar Wald auf. Das Symbol der baumpflanzenden Frau, welches uns seit 1949 auf der Fünfzigpfennigmünze begleitet und an den Einsatz der Frauen erinnert, verschwindet mit Einführung des Euro Von Christa Schleich
Brummend kämpft sich der graue Volkswagen auf dem kurvenreichen Waldweg durch dichten Nebel. Plötzlich die Sonne. Immer höher und noch höher geht es auf einen der Gipfel des Mittelgebirges, die hier im Schwäbischen gerne Kopf heißen: Gaiskopf, Brennkopf, Bernauer Köpfle. Der Kopf, stellt sich heraus, hat eine Glatze. „Holzmacher“ haben während des Krieges Baum um Baum gefällt und eine riesige Fläche verwüstet zurückgelassen. Ein gutes Dutzend Frauen pflanzt auf dem Kahlhieb mit riesigen Hacken junge Fichten in schnurgerade Reihen. Es ist ganz und gar in Vergessenheit geraten: Der deutsche Wald, so wie er heute steht, wurde meist von Frauenhand gepflanzt.
Abgeleitet von den Forstkulturen, die sie begründeten, nannte man die Pflanzerinnen „Kulturfrauen“. Ihre harte Arbeit wurde schlecht bezahlt und gering geschätzt. Und dennoch: Als vor fünfzig Jahren die ersten Fünfzigpfennigmünzen in die noch schmalen Geldbeutel wanderten, waren sie mit dabei. Auf der Rückseite des kleinen Silberlings begleitete uns fast unbemerkt das Symbol der baumpflanzenden Frau durch Wirtschaftsaufschwung und die fetten Jahre. Mit Einführung des Euro wird es dem eichenreispflanzenden Mädchen ergehen wie ihren leibhaftigen Kolleginnen in deutschen Forsten: Sie wird für immer verschwinden.
Mit der Fünfzigpfennigmünze setzte der Bildhauer Richard Martin Werner den baumpflanzenden Frauen unbeabsichtigt dieses Denkmal. Sein Entwurf, der die Trümmerfrauen ehren sollte, wurde 1949 vom damals zuständigen Direktorium der Bank Deutscher Länder als Vorlage für die Münze ausgewählt. Seine eigene Frau, Gerda Jo Werner, stand – besser kniete – dafür Modell. Eine zarte Gestalt mit langem, eng anliegendem Gewand, das die echten Kulturfrauen im Forst wahrscheinlich als etwas hinderlich für ihre Arbeit betrachtet hätten.
So ziemlich genau den Gegenwert der neugeprägten Münze, nämlich fünfzig Pfennig, erhielten die Kulturarbeiterinnen Ende der vierziger Jahre für jede Stunde harte Arbeit im Wald. Arbeit, um die viele Frauen froh waren, wie die heute 84jährige Elisabeth Gärtner: „Ich kam 1945 ausgebombt und mit einem Baby von Mannheim nach Oberrot im Schwäbischen Wald, wo meine Eltern lebten. Gleich nach dem Krieg begann ich, im Wald zu arbeiten. Daraus wurden dann neun Jahre. In unserem Revier Hohenhardtsweiler bei Schwäbisch Hall waren wir 24 Frauen. Hauptsächlich forsteten wir die Kahlflächen auf, und nebenher betreuten wir noch die Baumschule.“
Schon vor dem Krieg waren weibliche Arbeitskräfte ein gewohnter Anblick im Wald. Seit etwa 1850, wahrscheinlich sogar noch etwas früher, gab es Frauenarbeit im Wald. Zu dieser Zeit hatte in Deutschland die planmäßige Forstwirtschaft begonnen. Die Wälder, oder was von ihnen noch übrig geblieben war, befanden sich an der Wende zum 19. Jahrhundert in einem katastrophalen Zustand. Überweidung, Raubbau und Waldverwüstung hatten gründlich aufgeräumt. In vielen großen Waldgebieten gab es so gut wie kein schlagreifes, starkes Holz mehr.
Spätestens mit dem Beginn der systematischen Forstwirtschaft begannen junge Mädchen und Frauen mit den sogenannten leichten Kulturarbeiten. Sie säten Baumsaaten in speziellen, waldnahen Pflanzgärten aus, verpflanzten die kleinen Setzlinge innerhalb der Baumschule, bis sie als etwa vier- bis fünfjährige, robuste Bäumchen in die „Kultur“, die zuvor verlichteten oder kahlgeschlagenen Flächen, ausgepflanzt wurden. Für viele Frauen, die damals so gut wie keine Möglichkeiten hatten, ein Einkommen zu erwirtschaften, wurde die aufstrebende Forstwirtschaft zur willkommenen Erwerbsquelle. Als Tagelöhnerinnen konnten sie mit der Waldarbeit in den Frühjahrsmonaten ein paar Mark zum kargen Erlös aus der eigenen Landwirtschaft dazuverdienen. Weibliche Waldarbeit war Saisonarbeit. Die Notlage der Frauen sehr wohl erkennend, drückten die Forstbehörden das Entgelt auf unterstes Niveau, obwohl man Frauen als fleißige und zuverlässige Arbeiterinnen schätzte.
Dank des eingeführten Nachhaltigkeitsprinzips – es durfte nicht mehr Holz eingeschlagen werden, als nachwachsen konnte – erholten sich die Wälder rasch. Erst die Naziregierung durchbrach Mitte der dreißiger Jahre dieses Prinzip. In ihrem Streben nach Autarkie verordnete sie dem deutschen Wald einen bis zu fünfzigprozentigen Mehreinschlag. Das für den Kriegsbetrieb notwendige Holz wurde vielerorts zudem nicht schonend, sondern auf riesigen Kahlhiebsflächen eingeschlagen. Nach Kriegsende musste der Wald für Reparationsleistungen und – weil Kohle zunächst knapp und teuer war – für den Brennholzhunger der Bevölkerung herhalten.
Doch nicht nur der Mensch, sondern auch die Natur setzte dem Wald zu. Extrem trockene Nachkriegssommer begünstigten die Ausbreitung des Borkenkäfers, sein Fraß geriet 1947 zur nationalen Katastrophe. Winterliche Schneebrüche ließen den vorgeschädigten Wald, besonders in Süddeutschland, weiter schwinden. Allein in Baden-Württemberg wurden zwischen 1946 und 1954 mehr als 80.000 Hektar Kahlflächen aufgeforstet. Nach damaligen Maßstäben waren dazu einschließlich der Nachbesserungen 1,2 Milliarden Pflanzen notwendig, die erst herangezogen werden mussten. Frauenarbeit im Wald war nach dem Krieg gefragt wie nie zuvor.
Nicht wenige Forstämter waldreicher Gebiete beschäftigten in den späten vierziger und Anfang der fünfziger Jahre mehr als hundert oder gar zweihundert Frauen mit der Anzucht, dem Auspflanzen und der Pflege der Waldbäume und jungen Kulturen. Der ehemalige Leiter des Forstamts Mönchsberg im Mainhardter Wald, Willi Gayler, gesteht ganz offen: „Die Frauen machten es billiger. Zudem waren sie für diese Arbeiten geschickter als die Männer, und besonders die jungen Bauerntöchter, die zu Hause selbst Wald besaßen, konnten bei dieser Arbeit viel lernen.“ Was er außerdem schätzte: „ Man konnte sich hundertprozentig auf die Frauen verlassen. Aber“, räumt der Forstmann ein, „sie wollten auch anerkannt werden.“
Die finanzielle Anerkennung blieb den Frauen lange versagt. Die „leichten Arbeiten“ im Wald wurden, auch als es Tarifverträge gab, am schlechtesten bezahlt, obwohl viele Förster die Waldarbeiterinnen zunehmend ganzjährig beschäftigten. Viele blieben nur noch in den schneereichen Winterwochen zu Hause. Mit der Zeit wurde ihr Arbeitsgebiet um viele Pflegearbeiten ergänzt: Eine besonders schweißtreibende Arbeit war das Ausmähen im Hochsommer mit der Sichel, um aufkommendes Unkraut, welches die kleinen Bäume zu überwachsen drohte, niederzuhalten. Im Herbst schützten sie den gefährdeten Jungwuchs mit chemischen Mitteln vor Wildverbiss. Das „Teer“ genannte, zähe und durchdringend nach Asphalt riechende Verbissschutzmittel wurde auf die Triebspitzen der kleinen Bäume aufgestrichen. Abends hatten die Arbeiterinnen von dem Zeug nicht nur die Nasen, sondern auch die langen Lederschürzen voll, die sie vor dem morgendlichen Tau in den Kulturen mehr schlecht als recht schützten. Nasse Beine bis zur Hüfte waren bei dieser Arbeit an der Tagesordnung, keineswegs jedoch Schutzhütten oder Waldarbeiterkarren wo sie sich hätten trocknen können. Nach einem schweren Arbeitstag im Wald wartete auf die meisten Hausarbeit, Kinder oder gar Arbeit auf Feld und Hof.
Im Zuge desWirtschaftsaufschwungs in Westdeutschland ging die Anzahl der Waldarbeiterinnen drastisch zurück. Viele wanderten in die neu entstandenen Fabrikhallen ab. Eine Untersuchung des geografischen Instituts Stuttgart über die Wald- und Forstwirtschaft im Keuperwaldgebiet Nordost-Württembergs aus dem Jahre 1990 spiegelt den Trend: Waren beispielsweise im Bereich des Forstamts Crailsheim 1953 noch über zweihundert Frauen beschäftigt, betrug ihre Zahl 1963 weniger als die Hälfte, und 1987 gab es nur noch Arbeit für drei Waldarbeiterinnen.
Etwas anders verlief die Entwicklung in der DDR. Dort verblieben bis zur Wende vergleichsweise mehr Frauen in der Waldarbeit. Erst nach der Wiedervereinigung gerieten auch sie in den Sog des Männer wie Frauen gleichermaßen betreffenden Rationalisierungsdrucks in der Forstwirtschaft.
Heute sind Frauen im Wald selten geworden. Die Arbeit mit schweren und teils gefährlichen Maschinen übt auf sie keine große Anziehungskraft aus. Gerade sieben weibliche Auszubildende erlernen im Waldland Baden-Württemberg den Beruf des Forstwirts, etwa hundert dürften es bundesweit sein. Ihre Arbeit hat mit der vor fünfzig Jahren wenig gemeinsam, längst hat auch im Wald ausgefuchste Technik Handarbeit weitgehend ersetzt. Je mehr der Wald zur reinen Männerdomäne wird, umso schneller droht die Arbeit der Kulturfrauen in Vergessenheit zu geraten. Sie wurde selbst schon von denen übersehen, die es besser wissen müssten. In seinem 1967 erschienenen Buch „Wald, Mensch, Kultur“ beklagt sich der Münchner Forstprofessor Josef Nikolaus Köstler in einem Aufsatz: „Auch die alle Jahre wiederkehrenden zärtlichen Worte am Tag des Baumes vermögen nicht über die Tatsache hinwegzuhelfen, dass die Schlagzeilen fehlen für die ungeheueren Leistungen der deutschen Forstmänner der Nachkriegszeit in der Wiederbestockung verwüsteter Wälder. Auch das war und bleibt eine Kulturtat!“ Kein Wort des Aufsatzes erwähnt, dass diese, zu Recht gerühmte Kulturtat, größtenteils von Frauen ausgeführt wurde.
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