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Kollektives Erröten

■ Auf der Suche nach der neuen Judith Hermann: Sechs AutorInnen aus Berlin lasen zum Saisonauftakt im Literarischen Colloquium

Gleich zu Beginn entschuldigt sich einer der Autoren bei mir, dass das Wetter so schlecht sei, die Veranstaltung also im gediegenen Drinnen des Literarischen Colloquiums stattfinden müsse. Wein und Wurst im Garten sind ins Wasser gefallen, und schon ist die neue, alte Literaturszene hilflos. Nichts mit Endlich-frischer-Werden, An-den-coolen-Gestus-von-Jugendkulturen-, An-Eventboom-und-Trendmarketing-Anschließen. Das Literarische Colloquium wagt beherzt den „Saisonauftakt“, will jetzt auch, wenn auch noch ein bisschen schüchtern, ein kleines Stück vom Glück des supernervigen Berlinbuchbooms: Sechs Autoren, geboren in Krefeld, Düsseldorf, Frankfurt am Main usw. sind eingeladen, aus ihren soeben erschienenen Büchern zu lesen. Außer der Tatsache, dass sie in Berlin leben, haben sie nichts gemeinsam. Das macht aber nichts. „Berlin gibt so was her“, so die Veranstalter. Das Haus ist voll.

Zuerst liest Julia Franck aus ihrem neuen Buch „Liebediener“. Wie um dem neuen Unterhaltungszwang bei Lesungen zu attestieren, liest sie ausgerechnet die schlüpfrigsten Stellen: Kollektives Erröten ist dran. Dabei hat Julia Franck, Jahrgang 1970, ein eher vorsichtiges Buch geschrieben. Dessen Charme entwickelt sich sachte und baut sich mit einer versteckten Bedrohung auf, immer unter Wasser gehalten durch pingeliges Festhalten der Hauptfigur am Automatismus des Alltags: Schwierig, hier so etwas knackig rüberzubringen.

Abgelöst wird Julia Franck durch Ulrich Peltzer, der heute nicht anders zu können scheint, als den Rebellen zu machen. Eine Zwangshandlung: anders als die anderen sein. Aus seinem neuen Buch „Alle oder keiner“ liest er eine Passage über eine Demo, von „Sichhochschaukeln ohne zügelnden Verstand“ ist die wehmütige Rede. Damals, erklärt Peltzer später, „als wir Ende Zwanzig waren“.

Wie sich in dieser Gesellschaft als Individuum verhalten, bei einer solchen Vergangenheit? – das sei die Frage, die ihn in diesem Buch über einen Mann beschäftigt habe, der inzwischen in der forensischen Psychiatrie gelandet ist. Hier schmückt sich einer mit der Trauer über entlaufene Wahrheiten, die nicht ins Literarische Colloquium passen und doch neuerdings sehnlichst erwünscht sind.

Nachdem Adolf Endler, der alte Beatnik, irgendwo zwischen Sächsischer Dichterschule, Bukowski und Ringelnatz sehr lustig seine super schrullig skurrilen Verse aus „Pudding der Apokalypse“ über „Nasenbäder in Sammeltassen“, über „Mitleid mit Hähnen und Belag auf den Zähnen“ zum Vortrag gebracht hat, betritt Inka Parei, die einzige Debütantin des Abends, die Bühne. Spannung liegt im Raum. Eine neue Hoffnung? Eine neue Judith Herrmann? Und wirklich taucht im winzigen Ausschnitt, den Parei liest, alles auf, was zur lieben, nasskalten Haßstadt Berlin von unten betrachtet halt gehört: Kohlekisten, lila Krautsalat im Döner, der „bittere Geruch der Bremsbeläge“ der S-Bahn und die Bodenfliesen des damaligen Hauptbahnhofs: „Ein Muster wie Blutwurst. Die ideale Tarnung für Kotze und Bier.“ Das ist toll. Das ist verkaufsfördernd, auch ohne Berlinbuchboom. Inka Pareis Berlin ist ein Ort, an dem man den Dreck unter den Fingernägeln nicht mehr losbekommt. Nicht vergleichbar mit dem Berlin Judith Herrmanns, das gedämpft und elegant vorüberschwebt.

Der Beifall jedenfalls will gar nicht mehr aufhören, als Parei endet. Es ist eine ihrer ersten Lesungen und bestimmt nicht ihre letzte. Obwohl vergleichsweise viel bekannter, treffen die folgenden Erzählungen von Brigitte Burmeister und György Dalos auf satte Ohren. Das Publikum wollte wissen, wer die neuen Stars des Bücherherbstes sein werden. Was Burmeister, – Jahrgang 1940– zur Psycholgie vom Platz gestellter DDR-Bürger weiß, was Dalos– Jahrgang 1943– zum Widerstreit und zur Verwandtschaft von Katholizismus und Kommunismus im früheren Ungarn geschrieben hat, interessiert keinen mehr übermäßig. Schließlich sind die beiden nicht unter dreißig. Das glitzernde Etikett Berlin macht sich auf ihren Büchern weniger gut.

Susanne Messmer

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