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Die Jungfrau war pünktlich ■ Von Ralf Sotscheck
Wenigstens war sie immer pünktlich. Vier öffentliche Auftritte im Jahr hatte die Jungfrau Maria versprochen, und stets tauchte sie zum angekündigten Zeitpunkt auf. Das behauptet jedenfalls die kugelrunde Fiona Tierney aus Doon in der irischen Grafschaft Limerick. Die 22-Jährige war die Einzige, der Maria erschienen ist, die 2.500 Gläubigen, die jedes Mal zur heiligen Show angereist waren, mussten sich voll und ganz auf Tierneys Wort verlassen.
Es hatte vor zehn Jahren angefangen. Damals fuhr die Tante mit der kleinen Fiona und ihrer zwei Jahre älteren Schwester Marcia sonntags immer zur Inchigeela-Grotte bei Cork, und eines Tages schaute auch Maria vorbei. Die entsetzten Eltern, die am Verstand ihrer Tochter zweifelten, unterbanden die Sonntagsausflüge umgehend, bis die Jungfrau ein Machtwort sprach. Nach einer „persönlichen Botschaft“ Marias an Fionas Vater erlaubten die Eltern die Treffen zwischen Fiona und Maria wieder. Bald gründete sich auch ein Fanclub, der jeden Sonntag ein Vereinstreffen in der Inchigeela-Grotte abhielt.
Eines Tages brachte Maria ihren Sohn Jesus mit. Der führte Tierney zu einem zerfallenen Haus in Doon und riet ihr, die Bruchbude zu kaufen. Dann machte er die Baupläne: Ein schönes, großes Haus sollte es sein, dazu eine Kapelle, ein Garten mit den Stationen des Kreuzes, ein Raum mit der Kreuzigungsgruppe und ein großer Parkplatz. Zwar nahm der Architekt für den Entwurf kein Geld, aber zu den gewaltigen Baukosten wollte Jesus nichts beisteuern. Da musste der Fanclub von der Inchigeela-Grotte einspringen: Die Knalltüten zahlten für das komplette Anwesen, nachdem Tierney ihnen vom Deal mit der Jungfrau über vier Shows im Jahr erzählt hatte.
Fortan stand Fiona Tierney alle Vierteljahre in einem gigantischen blauen Kaftan, der mühelos als Zweimannzelt Verwendung finden könnte, in ihrem Garten und fiel vor den Augen der Marientouristen in einen Trancezustand. „Friede, Liebe, Beten und Schluss mit Abtreibungen“, so lautete Marias simple Botschaft. Damit sie auch jeder kapierte, hatte Tierney den Garten mit Plakaten dekoriert, auf denen abgetriebene Föten zu sehen waren. Außerdem bekam jeder der torfköpfigen Pilger ein Anti-Abtreibungs-Flugblatt zur Nachbereitung daheim.
Nun ist es vorbei mit den jungfräulichen Gigs, Maria hat die Nase voll von dem Rummel. Fortan will sie nur noch zur Privataudienz bei Tierney erscheinen. Zum Abschluss gab es aber nochmal einen Doppelauftritt in der Benamore-Grotte bei Roscrea, die Fiona Tierney „auf Anweisung Madrias“ – und mit dem Geld des Fanclubs – speziell für diesen Zweck bauen ließ. Maria wetterte noch einmal gegen Abtreibung, ihr Filius verlangte, dass die Leute gefälligst einen Rosenkranz für die Sicherheit des Papstes beten sollten. Dann fiel der Vorhang zum letzten Mal. Das Anwesen bei Doon ist ja schließlich bezahlt.
Doch es gibt noch ein Fünkchen Hoffnung für die erstaunlich gutgläubigen Marienfans. Marcia hat plötzlich auch Erscheinungen, und sogar bessere als ihre Schwester Fiona: Neben Maria und Jesus taucht bei ihr ein ganzer Schwung Heiliger auf. Marcia hat gerade das Nachbarhaus in Doon gekauft. Es war nicht billig.
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