„Nennen wir's Inhalt“

■ Ab heute schmückt sich die ARD mit 26 neuen Folgen ihrer tadellosen Vorabendserie „Tanja“. Berengar Pfahl ist ihr Regisseur

Fast gut“, sagt da der Mann mit dem Wollpulli. Sagt's und macht damit den ersten Eindruck zunichte: Sah doch zunächst alles so aus, als vertrieben sich die beiden Schauspieler in dieser notdürftig verkabelten Villa mit Seeblick dort zwischen Farbeimern und Requisitenkrempel eine Drehpause mit kleinen heiteren Improvisationen.

Wir sind zu Gast bei den Dreharbeiten zu „Tanja“. Die Kameras stehen im vergilbten „Haus Weimar“ des Ostseebades Heiligendamm (westlich von Warnemünde), dem Dreh- und Angelpunkt der Vorabendserie. Auf dem Drehplan steht die vorerst letzte Folge – und das scheinbar beiläufige Renovierungsgeplauder Wort für Wort im Drehbuch.

Das hat sich der Mann mit dem Wollpulli und dem merkwürdigen Namen Berengar Pfahl ausgedacht, der während der Szenenprobe neben der Kamera stand und das Spiel der beiden Darsteller eben „fast gut“ fand. Kurz und knapp sagt er's und lugt aufmerksam über den Rand seiner etwas zu farbig geratenen Damenlesebrille einmal in die Runde: Augenkontakt mit dem Kameramann, ein kurzes Nicken. „Neununddreißig zweiunddreißig die Erste!“

Das karge Urteil über die schauspielerische Leistung hat zwei Gründe. Regisseur Pfahl selbst sagt, er probe eine Szene gewöhnlich so weit an, bis sie „noch nicht ganz 100-prozentig sitzt“, damit die erste Einstellung perfekt werde. Langjährige und begeisterte Mitarbeiter hingegen unken, „der Berengar“ (mit Betonung auf der ersten Silbe und ein wenig wie eine fremde Koseform für Bär) sei im Loben nicht besonders gut.

Seine Serie konnte sich dafür vor Lob kaum retten, seit sich die ARD im Herbst 97 (und in den Wiederholungen der vergangenen Wochen) mit ihr schmückte. Aber am unbestrittenen Talent der inzwischen fast 21-jährigen Hauptdarstellerin Katharina Wackernagel allein kann es nicht liegen, dass „Tanja“ auch beim Zuschauer (11 Prozent Marktanteil) und den Zuschauerinnen (19 Prozent bei den 14- bis 49-jährigen) gut ankam. Gut genug jedenfalls, um sie mit 26 weiteren Folgen ins nächste Jahrtausend zu schicken.

Wer Pfahls 18.55-Uhr-Serie kennt, wer die Dreiviertelstunden-Episoden ums Heranwachsen am Beispiel der ersten Post-Ost-Generation zu schätzen weiß, hat vielleicht sogar einmal darüber nachgedacht, warum: Ernsthaft und beiläufig, unterhaltsam und klug, unprätentiös und konzentriert, so ist „Tanja“.

Und so ist Berengar Pfahl. „Ich hoffe“, sagt er denn auch, „ich hoffe, dass 'Tanja' etwas mit mir zu tun hat“ – und zeigt, dass innovatives öffentlich-rechtliches Werberahmenprogramm kein dreifaches Paradox sein muss, kein heilloses Unterfangen, dass Zielgruppenvorgaben und Anspruch und Unterhaltsamkeit möglich sind.

Wie aus Prinzip sagt er erst „Nein“. Dann redet er.

Zwischen zwei Einstellungen sitzen wir in einer der liebevoll hergerichteten Kulissen, wollen reden und – das Diktafon streikt. Sofort nimmt der 53-Jährige (“Zeigen Sie mal her!“) die Sache in die Hand, fingert am Aufnahmegerät herum, ordert neue Batterien. „Gut,“ sagt er dann und kehrt sofort ins Gespräch zurück, „Sie wollten wissen, ob meine Art zu Filmen anders sei ...“ Und wie aus Prinzip sagt er zunächst: „Nein.“

Dann redet er. Über Gartenzwerge-Idyllen (“Die haben wir schon hundertfach karikierend und mit Häme abgebildet gesehen – aber ehrlich nie. Dabei sollte man sich statt mit Vorgärten mit den Menschen beschäftigen. Auch das sind Zuschauer ...“), über Teigwaren (“Wer ganz schnell zwei Millionen Menschen sättigen muss, wird bald auf die Idee kommen, Spaghetti zu servieren. Schon die Frage 'Fisch oder Fleisch?' spaltet die Nation. Je differenzierter man also inszeniert, umso mehr wird man auch dem Zuschauer eine Entscheidung abverlangen ...“), über Herausforderungen (“Wir haben 25 Bilder pro Sekunde zu drehen. In unseren Gehirnen haben wir mit einer ähnlichen Geschwindigkeit mitzuhalten. Und doch kann es nicht darum gehen, Schritt zu halten. Nein, wir müssen die Bilder bewegen ...“) und natürlich über „Tanja“: „Der Actionfilm stellt ständig Fragen wie 'Springe ich jetzt in diesen Abgrund oder nicht?' Ich hingegen möchte Tanja an Situationen heranführen, in denen dann eine Haltung, die Haltung des Teams, sichtbar wird. Ich will an etwas erinnern, etwas anrühren, das in uns schlummert. Da entsteht dann wohl so etwas wie eine message – oder nennen wir's doch einfach mal Inhalt“, sagt er geradezu en passant und: „Ich stelle Tanja erst gar nicht an einen Abgrund.“

Derart pointiertes Understatement scheint Pfahl so wichtig wie seine Abneigung gegen „alles, was mit einem Erziehungsaspekt versehen“ sei: „Ich muss ja meine Geschichten erzählen und keine pädagogischen Vorgänge.“

Tatsächlich erzählt Pfahl seine Geschichten (vom Erwachsen-werden-Müssen, von Freundschaft und Entfremdung, Ich-Findung, Auskommen und Schicksal) wie Allerweltsgeschichten. Er schaut nur genauer hin. Gehe es doch bei der Figur der Tanja darum, „was sie tut, wie sie ist“ – und bei „Tanja“ um die Frage nach dem Zusammenleben der Generationen. Sie ist es, die Berengars Welt im Innersten zusammenhält: Wohnt er doch selbst mit Frau und Kindern, Großeltern und Produktionsfirma auf seinem umgebauten Gehöft bei Solingen.

Seine Themen sollen sich auch am Set wieder finden

Und vor Ort am Set hat Pfahl im Laufe der Jahre nicht nur ein ähnlich großfamiliäres Team um sich versammelt, sondern auch den Schauspieler Uwe Friedrichsen (65) als kauzigen Ex-Kapitän zur See in die dritte „Tanja“-Staffel geschrieben – damit auch die Generationenfrage vor Ort am Set eine runde Sache wird.

„... so könnt es immer sein“, windet sich da eine Liedzeile aus Andrea Jürgens Bild-Zeitungs-Hit „Ein Herz für Kinder“ von vor zwanzig Jahren ins Hirn des Besuchers, während sich an der Ostsee ein Drehtag gen Vorabend neigt. „Vertreibung aus dem Paradies“ heißt die 39. und womöglich endgültig letzte „Tanja“-Folge (Sendetermin: 28. 2. 2000). Im Drehbuch steht am Ende einer Szene (irgendeiner, aber einer, in der es um Smetana und Nudelauflauf geht, um Stofftiere, Geschlechterrollen, Midlife-Crisis, eine Mutter/Tocher- bzw. 68er/89er-Beziehung und den Abschied von der Kindheit): „... es ist vielmehr die Gewissheit, dass etwas zu Ende ist“. Tanja weint leise ...

Und dann sagt Katharina Wackernagel, Pfahls Entdeckung: „... es ist vielmehr die Gewissheit, dass etwas zu Ende ist“. Und weint leise ... Nur der Berengar ist noch nicht 100-prozentig zufrieden.

Christoph Schultheis