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In Köln ist jetzt alles drin: Auch eine Bürgermeisterin

Vom SPD-Desaster in der Domstadt könnte die grüne Kandidatin Anne Lütkes profitieren   ■  Aus Köln Pascal Beucker

Manchmal, beinahe unvorstellbar, kommt es vor, dass Düsseldorf Köln etwas voraushat. Und wenn dieser seltene Fall eintritt, dann packt die Kölner der Ehrgeiz. Jetzt haben sie wieder eine einmalige Chance, einen Vorsprung der Düsseldorfer wieder wettzumachen: bei der kommenden Oberbürgermeisterwahl. Denn mit der Sozialdemokratin Marlies Smeets regiert in Düsseldorf bereits seit fünf Jahren eine Frau. Nun könnte Köln gleichziehen. Dank Anne Lütkes.

Die 51-jährige Rechtsanwältin hat gute Aussichten, die erste Frau an der Spitze der Stadt zu werden. Und nicht nur das: Sie könnte darüber hinaus auch noch die erste grüne Oberbürgermeisterin einer bundesdeutschen Großstadt werden. Dabei hatte Anne Lütkes eigentlich bereits ihren Urlaub für die Zeit nach dem Wahlgang am 12. September geplant. Als krasse Außenseiterin rechnete sie nicht damit, es in die Stichwahl am 26. September zu schaffen. Das Rennen um die Nachfolge des 19 Jahre amtierenden Norbert Burger schienen ihre beiden männlichen Kontrahenten unter sich auszumachen: der Sozialdemokrat Klaus Heugel und der Christdemokrat Harry Blum. Doch seit dem Rückzug Heugels steht Lütkes plötzlich in der ersten Startreihe.

Zutrauen wäre ihr der Job. Anne Lütkes kennt die Stadt, der sie vorstehen will. Hier hat sie 1967 ihr Abitur gemacht. Hier hat sie 1968 an Anti-Notstands-Demonstrationen teilgenommen und einen „Antikunstmarkt“ mit organisiert. Hier hat sie ihre Staatsexamen in Jura abgelegt. Ihr Anwaltsbüro eröffnete sie 1976 – und nannte ihn szenegerecht „Rechtsladen“. Inzwischen ist daraus, wie sie sagt, ein „mittelständischer Betrieb“ geworden. Die heutige Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, Kerstin Müller, machte hier Anfang der 90er Jahre ihr Referendariat. Politisch aktiv war Anne Lütkes zunächst in der Frauenbewegung. Ihre Überzeugungen spiegelten sich dabei auch in ihrer beruflichen Praxis wider: In den Anfangsjahren vertrat sie ausschließlich Frauen. Mitte der 70er war Lütkes am Aufbau des ersten „Autonomen Frauenhauses“ in der Bundesrepublik beteiligt.

Die Kölner Grünen kürten die gebürtige Bergisch-Gladbacherin zu ihrer Spitzenkandidatin für die Kommunalwahlen 1989 und machten sie nach ihrem Einzug in den Rat zur Sprecherin der grünen Fraktion. Das ist sie bis heute. 1994 führte sie erneut die grüne Kandidatenliste an, und auch in diesem Jahr steht sie auf Platz 1. Schließlich hat sie entscheidend dazu beigetragen, die Grünen zu einer festen Größe in der Kölner Stadtpolitik zu machen. Bei den letzten Kommunalwahlen 1994 kam die Öko-Partei auf 16,2 Prozent. Wenig überraschend war denn auch die Wahl von Lütkes zur Kölner Oberbürgermeister-Kandidatin der Grünen 1997. Ihr Verhältnis zur SPD ist gespannt. Denn die überzeugte Realpolitikerin widerstand bislang allen sozialdemokratischen Versuchungen. Die gradlinige Lütkes ist keine Verfechterin einer Koalition um jeden Preis. Gespräche der beiden Parteien in den letzten Jahren führten zu keiner längerfristigen Zusammenarbeit.

Dem legendären Kölschen Klüngel, den die Domstadt-Genossen virtuos beherrschen, hat sich Lütkes stets verweigert. Für sie ist der tiefe Fall ihres SPD-Konkurrenten Heugel „nur die Spitze eines Eisbergs“. Schadenfreude sei da nicht angesagt. „Da muss sich einiges ändern“, sagt sie und fordert denn auch einen „grundlegenden Politikwechsel“ in der Domstadt. So setzt sie sich für eine transparente, moderne Verwaltung und mehr Mitsprache für die Bürgerinnen und Bürger ein. Das macht es der seit 43 Jahren in Köln regierenden Kölner Sozialdemokratie nicht leicht, sich für eine Wahlempfehlung für die grüne Kandidatin zu entscheiden. Noch konnte sie die SPD nicht dazu durchringen. Das kann sich allerdings bis zum zweiten Wahlgang noch ändern. Und dann könnte Köln endlich mit Düsseldorf gleichziehen.

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