piwik no script img

Für ein Paar bequeme Schuhe

Hoffnung auf Erlösung: Johnny Cash, der Mann in Schwarz, hat seine zweite Autobiografie geschrieben und darin auch Gott gedankt. An seinem Königsstuhl als moralischer Autorität sägt er nicht, aber er zeigt auch die banale Seite des Wertetheaters  ■   Von Anke Westphal

Pragmatismus mit Demut paart der Autobiograf, der selbst wie ein alttestamentarischer Prophet wirkt

In diesem Leben war einiges los. Nach einer Kindheit und Jugend in tiefster Armut, Jahren harter Arbeit auf den väterlichen Baumwollfeldern, nach drei zu langen Wochen am Fließband der Pontiac-Automobilwerke und ein paar Monaten als Elektrovertreter, in denen er nicht ein einziges Produkt an den Mann brachte, nach der Dienstzeit als Funker der U.S. Army in Bayern – nach all dem kam der Erfolg dann einigermaßen schnell. Johnny Cash war ein gut aussehender Bursche mit einer dunklen, vage angsteinflößenden Stimme. Seine Mutter nannte diese Stimme „die Gabe“. „Die Gabe“, für Cash zeitlebens auch „ein Zaubermittel gegen das Dunkel“ (wie das Singen im Wald), litt in den folgenden Jahrzehnten unter der Hingabe ihres vielbeschäftigten Inhabers an Amphetamine (die den Kehlkopf ruinieren), Schlafmittel und Alkohol. Entzugstherapien folgten, zwei Ehen (die mit June Carter hält), Karriere-Auf-und-Ab, betrügerische Steuerberater, sieben Kinder und zwölf Enkelkinder. Sechs US-Präsidenten hat der Mann in Schwarz getroffen und ist selbst immer noch da. Johnny Cash ist der einzige Künstler, der es in die Songwriter's Hall of Fame, die Country-Music- und die Rock 'n' Roll Hall of Fame geschafft hat.

Weil es „ein vergleichsweise harmloser Job“ sei, Johnny Cash zu sein, erzählt Cash in seiner – nach „Man In Black“ – zweiten Autobiografie lieber von den Dingen, für die er dankbar ist, „für ein Paar wirklich bequeme Schuhe“ beispielsweise. Cashs boots were made for walking: Auf den „Country Boy“, der in der Welt seiner Songs (das Töten ausgenommen) tatsächlich gelebt und sie nicht nur nachempfunden hat, ist Cash bis heute stolz. In der anhaltenden Identifikation mit seiner Herkunft und deren Werten, mit Anstand, harter Arbeit und Ehrgefühl, erlegt der alternde Cash sich selbst eine Art disziplinierende Bescheidenheit auf. Kernpunkt seiner Erzählung ist, auch was die tolldreisten Jungsgeschichten über „Hotelvandalismus“, „Drogen“ und „Mädchen“ angeht, die Hoffnung auf Erlösung.

Cashs Betonung der eigenen Rolle als Interpret, welcher dem überlieferten Songgut vor allem dient, korrespondiert mit einer generellen Demutshaltung. Er versteht sich weniger als Sänger denn als „Song Stylist“. Seine geläuterte Religiosität drückt der Autobiografie den größten Stempel auf. Es handelt sich um eine ausgesprochen amerikanische Religiosität, sehr volkstümlich, ausgesprochen praktisch und offenherzig. Bibelstudien und Textexegese gehören zum Alltag wie der Kaffee zum Frühstück. Sicher ist dieser Aspekt von Sinngebung mit den vergehenden Lebensjahren mehr in den Vordergrund getreten – schließlich ist Cash ernstlich krank; er leidet an Parkinson. Doch interessanter für den Leser ist, dass diese Religiosität von Cash zur Korrektur – nicht zur Revision – ihn selbst betreffender Medienbilder verwendet wird.

Der Ruf Johnny Cashs als der eines unbestechlichen, politisch integren und furchtlosen Mannes verdankt sich nicht zuletzt seinen Auftritten vor den Häftlingen von Folsom Prison und San Quentin (sein erstes Live-Album ist die Aufnahme eines Konzerts im Folsom Prison). Er verdankt sich weiterhin Cashs Eintreten gegen den Vietnamkrieg und für die Rechte der Indianer. Die Medienlegende eines politischen Aktivismus, der seiner Zeit voraus war, weist Cash sanft in die Schranken, indem er seine Parteinahmen noch einmal nachdrücklich christlich motiviert. An Cashs Königsstuhl in puncto moralische Autorität wird damit nicht gerüttelt. Und auch die banale Seite des Wertetheaters kommt zur Sprache: Cash war lange vor den berühmten Konzerten in Gefängnissen aufgetreten – einfach weil es Auftrittsmöglichkeiten waren.

Auch in diesem Punkt paart der Autobiograf Pragmatismus mit Demut. Inzwischen sieht Johnny Cash selbst aus wie ein alttestamentarischer Prophet: anklagend, aber auch trauervoll. Für den Rezensenten ist es schwierig: Einer so naiven wie demütigen, ja geradezu hingebungsvollen Aufrichtigkeit mag die Welt nie so recht glauben, doch einer weniger naiven Aufrichtigkeit würde sie intellektuelles Kalkül unterstellen.

So what? Fakt ist: Ein anderes Leben lässt sich moralisch nicht beurteilen. So bleibt die Form der Darstellung. Die Attitüde dieses etwas biederen Erinnerns (vielleicht vom Co-Autor so installiert) ist die des mit sich selbst redenden Grüblers. Orte, Begebenheiten, Paare und Passanten.

Cashs Autobiografie ist zudem ein großes „Who Is Who“ des Musik-Business rund um Nashville. Alle sind sie da – von den großen Alten wie Elvis Presley und Bill „Bluegrass Daddy“ Monroe hin zu den mehr oder weniger großen Neueren, zu Bob Dylan, Willie Nelson, Waylon Jennings, Marty Stuart, Trisha Yearwood.

Vom neuen Nashville hält Cash übrigens nicht viel; der industrielle Verschleiß von Talent ist ihm suspekt. Was denn so bei Warner los sei, fragte er einen Produzenten vor nicht allzu langer Zeit. Oh, man suche einen neuen Randy Travis. „Was stimmt denn nicht mit dem alten?“, hat Cash gekontert. Bei einer solchen Achtung vor der Singularität jedes Menschen ist nur logisch, dass nicht nur Cashs Produzenten oder Roadies, sondern auch die Hausangestellten der riesigen Cash/Carter-Familie ausgiebig gewürdigt werden.

Johnny Cashs Bemühen (vielleicht muss er sich auch gar nicht „bemühen“), alle „nett“ zu finden und in jedem und allem das Gute, den Sinn (und Gottes Wille) zu sehen, mag einem ebenfalls arglos und demütig, ja sogar verdächtig erscheinen. Das soll der Leser hübsch mit sich selbst abmachen. Er sollte nur gefasst darauf sein, dass sich Nettigkeit nicht durchweg spannend liest. Aber das ist nicht weiter schlimm. Man kann ja den CD-Player anwerfen.

Johnny Cash mit Patrick Carr: „Cash: Die Autobiographie“. Aus dem Amerikanischen von Sylke Wintzer und Peter Dürr. Palmyra Verlag, gebunden, 379 Seiten, 49,80 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen