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Spaß an grüner Politik ist längst vergangen

betr.: „Die Grünen wollen keine Flügel mehr“ u.a. (Strategietreffen), taz vom 30. 8. 99

Wie wahr. Politik bei den Grünen sollte Spaß machen. Allerdings dürfte dieser Spaß einem Großteil der bündnisgrünen Mitglieder seit der Bundestagswahl längst vergangen sein. Und für ein ökoliberales Projekt, das einige Jungfunktionäre anstreben, die „die Partei vom Muff 20 alternativer Jahre befreien“ wollen, wird sich ein gut Teil der grünen Basis nicht engagieren wollen.

„Basisdemokratisch, ökologisch, sozial und gewaltfrei“ hatten sich die Grünen vor fast 20 Jahren zum Ziel gesetzt. „Nachhaltigkeit“ bzw. „Zukunftsfähigkeit“ als zentrale ökologische Begriffe kommen noch vor. Selbstbestimmung/Selbstorganisation wird „Grundkonsens“ der Grünen, aber nur als Unterpunkt zu „Demokratie“ genannt. Dagegen spielt „Gewaltfreiheit“, und sei es in der Form des von Bütikofer im Frühjahr propagierten „Politischen Pazifismus“, für die grünen Strategen offensichtlich keine Rolle mehr. „Soziale Gerechtigkeit“ reduziert sich auf „Generationengerechtigkeit“ (Fücks). „Sparpaket“ auf Kosten schwacher Gruppen mit drastischer Kürzung der Rentenversicherungsbeiträge und Abschaffung der originären Arbeitslosenhilfe, jeglicher Verzicht auch nur auf Diskussion über die bislang geforderte (Wieder-)Einführung der Vermögenssteuer oder einer Lastenausgleichsabgabe Ost auf große Vermögen: Der Bezug darauf ist wohl „miesepetrig“ und stört nur beim „Wettbewerb um die moderne Kraft“. Oder ist der Anteil der „jungen Erben“ unter den älteren Grünen inzwischen so groß, dass sie getreu dem Motto „Das Sein bestimmt das Bewusstsein“ gerne auf das Sozialgedöns verzichten?

Bei vielen Menschen entstand durch die (Bündnis-)Grünen die Hoffnung, sich doch verändernd in diese Gesellschaft einbringen zu können. In vielen anderen Ländern waren die deutschen Grünen leuchtendes Vorbild für die Möglichkeit einer anderen Politik. Die Enttäuschung dieser Hoffnung ist vielleicht das Schlimmste, was die Bonner und Berliner Funktionäre dieser Partei derzeit anrichten.

Horst Schiermeyer, Zittau

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