: „Russland ist viel zu nuklear“
■ Vorerst wird die Finanzhilfe an Russland nicht gestoppt. Der Währungsfond misst bei der Kreditvergabe mit zweierlei Maß
Berlin (taz) – Zwei von drei Deutschen sind laut einer Forsa-Umfrage für einen Stopp der Finanzhilfe an Russland, solange Jelzin und seine Töchter unter Korruptionsverdacht stehen. Auch einige Politiker zeigen Zweifel an der großzügigen Kreditvergabe des Westens an Russland. Haushaltspolitiker Oswald Metzger von den Grünen forderte, die Kontrollen zu verschärfen und Kredite an strenge Auflagen zu koppeln. „Der Westen darf nicht länger augenzwinkernd zugucken, wie Gelder in Russland versickern, sondern muss begreifen, dass diese Gelder dort mafiöse Strukturen begünstigen“, heißt es bei den Grünen.
„Nur auf starke Verdachtsmomente hin jetzt so einen gravierenden Schritt wie den Stopp der Finanzhilfe zu beschließen, das halte ich nicht für gut“, sagte hingegen der Vorsitzende des CDU-Europausschusses, Friedbert Pflüger.
Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) sieht vorerst keinen Grund, den noch Ende Juli zugesagten Kredit über 4,5 Milliarden Dollar nicht an Russland auszuzahlen. IWF-Direktor Michel Camdessus wehrte sich gegen die Beschuldigung, von der Veruntreuung der Gelder gewusst zu haben. „Es ist kein Missbrauch der IWF-Gelder bewiesen worden. Es stimmt nicht, dass die Finanzhilfen mit voller Kenntnis des IWF missbraucht wurden.“ Obwohl der Fonds beteuert, die Kreditvergabe sei „in line with normal practice“ verlaufen, ist es für Paul Volcker, ehemals Sprecher der US-Notenbank, nur zu offensichtlich, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird: „Wenn der IWF mit einem armen und schwachen Land verhandelt, muss dieses Land auf die Linie des Fonds einschwenken. Wenn es aber mit einem großen Land verhandelt, tanzt der IWF nach dessen Pfeife.“
So spricht die französische Zeitung Le Monde mit ihrer Behauptung, „Russland Geld zu leihen ist schon zum Automatismus geworden“, ein offenes Geheimnis aus. „Wir haben Russland nie aus Nächstenliebe Geld gegeben, wir haben das immer im eigenen Interesse getan, damit dieses gewaltige Land stabil bleibt“, nennt Pflüger den Grund für die Großzügigkeit des Westens.
Ob die Bundesregierung auf die Korruptionsvorwürfe reagiert und sich gegen weitere Kredite an Russland ausspricht, ist ungewiss. „Wir wissen von nichts“, hieß es gestern im Finanzministerium.
Und selbst wenn: Deutschland ist nicht der IWF, sondern nur eines seiner 182 Mitgliedsländer. Zwar gehört es, nach den USA und Japan, zu den fünf wirtschaftskräftigsten Ländern und entsendet deshalb einen „eigenen“ Direktor in den Exekutivrat, das geschäftsführende Organ des Fonds. Die anderen 177 Staaten müssen sich 15 Direktoren teilen. Ohne Zustimmung der anderen Länder der EU plus Japan und USA kommt jedoch keine Mehrheit zustande. Und bei wichtigen Entscheidungen behalten sich die USA eine Sperrminorität vor.
Noch steht also nichts fest außer dem „Leitmotiv“, das ein Sprecher der Grünen so formuliert: „Russland ist so nuklear, dass da nichts schiefgehen darf.“
Katharina Koufen
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