: Wieder ein Rücktritt in Polen
■ Stellvertretender Ministerpräsident soll Spitzel gewesen sein
Warschau (taz) – „Ich glaube, ich bin nicht mehr im Amt“, bekannte der Innenminister Polens, Janusz Tomaszewski, in einer Abendsendung des Fernsehens. „Genaues weiß ich aber nicht.“ Kurz vor Mitternacht stand fest: Janusz Tomaszewski war nicht mehr stellvertretender Ministerpräsident Polens. Jerzy Buzek hatte ihn entlassen: „Ich habe das Vertrauen in ihn verloren“, erklärte der Ministerpräsident im Radio.
Tomaszewski soll zu kommunistischen Zeiten mit dem Geheimdienst zusammengearbeitet haben. Ein Verfahren gegen ihn ist in der polnischen Gauck-Behörde, dem sogenannten Lustrationsgericht, anhängig.
Sollte das Gericht feststellen, dass Tomaszewski tatsächlich die Erklärung zu seiner politischen Vergangenheit gefälscht hat, muss er zehn Jahre auf alle politischen Ämter verzichten. Wenn Staaatspräsident Kwasniewski die Entlassung Tomaszewskis bestätigt, wäre er das ranghöchste Mitglied im Kabinett Buzek, das seit dem Regierungswechsel von 1997 sein Amt verliert.
Vor einer Woche erst traf es den stellvertretenden Verteidigungsminister Robert Mroziewicz. Der Vorwurf lautete ebenfalls auf Stasi-Mitarbeit. Das in Polen bekannte Solidarnosc-Mitglied war zwar bereits mehrfach „durchleuchtet“ worden, auch von der Nato, da der stellvertretende Verteidigungsminister Polens dort einen wichtigen Posten einnimmt. Doch es hatte sich nie auch nur ein Verdachtsmoment ergeben. Dennoch hat Mroziewicz, der seine Unschuld beteuert, vor einer Woche seinen Rücktritt eingereicht.
Dies hätte Ende April diesen Jahres eigentlich auch Ministerpräsident Jerzy Buzek tun müssen. Auch ihm wurde vorgeworfen, ein Zuträger der Stasi im kommunistischen Polen gewesen zu sein. Da in diesem Fall aber die gesamte Regierung hätte zurücktreten müssen, entschloss sich das Kabinett, den Verdacht zu ignorieren.
Schuld an der polnischen Stasi-Schlammschlacht ist die Regierung selbst. Der hehre Anspruch, moralisch „sauberer“ zu sein als die Postkommunisten, gipfelte in der Forderung, dass jede Person sofort von ihrem Amt zurücktreten müsse, wenn auch „nur der geringste Schatten eines Verdachts“ auf sie falle. Und dies unabhängig davon, ob der Verdacht berechtigt ist oder nicht.
Die für die nächsten Tage erwartete Regierungskrise könnte das Ende der konservativen Regierung bedeuten. Umfragen zufolge ist die Mitte-Rechts-Koalition so unbeliebt wie noch keine Regierung zuvor im demokratischen Polen. Gabriele Lesser
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