: Kulturbeutel für Griechenland
■ Literatur für die Reise und das Inselhopping
Natürlich kommt man mit Homer übers Meer. Inselhopping mit Odysseus – durchaus denkbar. Fürs griechische Festland wäre auch ein Krimi vom alten Sophokles ein origineller Reisebegleiter.
Bei allem Respekt vor der Antike: In Kultur und Charakter der griechischen Neuzeit lese man sich am besten mit einer Lektüre der modernen Klassiker ein. Dringend empfohlen der Roman von Alexándros Papadiamántis: „Die Mörderin“ aus dem Jahr 1903. Die mitreißende Mischung aus Sittengemälde und Krimi spielt Mitte des 19. Jahrhunderts auf Skiathos. Die „Heldin“ ist Frangojannou, eine Witwe von 60 Jahren: Völlig übernächtigt wacht sie an der Wiege ihrer gerade geborenen Enkelin und begreift plötzlich, „dass sie die ganze Zeit nichts weiter getan hat, als anderen Leuten zu dienen“. Mädchen zu gebären, das sei Plage. Kommen sie ins heiratsfähige Alter und findet man einen Mann, muss man Äcker abtreten, seinen Schmuck verkaufen und sich tot schuften. Warum sollte man da nicht die Mütter erlösen und ihren Töchtern das einsame Sklavenleben ersparen? Sie erstickt das Kind und später noch die Töchter anderer Frauen. Ein psychologisch fein nuanciertender Roman der Weltliteratur.
„Alexis Zorbas“ – der Kultfilm, Anthony Quinn, okay. Doch man sollte die ganze Botschaft vernehmen und den Roman von Nikos Kazantsakis lesen.
In das Thessaloniki Anfang der Vierzigerjahre führt uns die authentische Erzählung „Gioconda“ von Nikos Kokantzis: Griechenland liegt unter deutscher Besatzung. Der Junge Nikos verliebt sich in ein jüdisches Mädchen aus dem Nachbarhaus. Als die Juden in die Konzentrationslager deportiert werden, werden auch Gioconda und Nikos für immer auseinandergerissen. Wir ahnen schon nach den ersten Seiten, dass es schlimm enden wird. Trotzdem: „Gioconda“ ist eine der schönsten Liebesgeschichten unseres Jahrhunderts.
An der widrigen Wirklichkeit von Verbannung, Gefängnis und Folter schliff Jannis Ritsos sein poetisches Werkzeug. Mit Giorgos Seferis und Odysseas Elytis gehört er zu den bedeutenden griechischen Lyrikern dieses Jahrhunderts. Er wurde mehrfach für den Nobelpreis vorgeschlagen. Politische Gründe – Ritsos war Kommunist – vereitelten die Auszeichnung.
Vor kurzem erschienen im Romiosini-Verlag die „Deformationen“ , eine Auswahl von rund 300 seiner etwa 7.000 Gedichte. Homer ist seit fast 3.000 Jahren tot. Wenn man Ritsos liest, weiß man, dass er noch nicht gestorben ist. Uwe Wandrey
Alexandros Papadiamantis: „Die Mörderin“. 165 Seiten, Suhrkamp. Frankfurt. st 2491, 12,80 DM Niko Kazantsakis: „Alexis Sorbas“. 351 Seiten. Rowohlt. Reinbek. rororo 185. 12,90 DM Nikos Kokantzis: „Gioconda“. Dialogos Verlag. 101 Seiten, Berlin 1989. 14,80 DM Jannis Ritsos: „Deformationen. Eine innere Biografie“. 17 Seiten, Romiosini Verlag. Köln. 32 DM
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