■ Vereint sind sie nur im Widerstand gegen Schröder, denn am Sonntag sind Landtagswahlen. Brandenburgs Ministerpräsident Stolpe redet den Ostdeutschen nach dem Mund. Der Saarländer Klimmt protestiert mit Herzblut.  Von Robin Alexander und Klaus-Peter Klingelschmitt
: Opportunist und Überzeugungstäter

Brandenburgs Landesfürst Manfred Stolpe muss sich jedes Widerwort gegen Bundeskanzler Schröder abringen

Der Anzug wurde ganz bestimmt nicht von Armani entworfen. Gut eine Nummer zu groß, schlabbert der graue Zweireiher um Reinhard Klimmt herum, die zerknitterte Hose hängt auf den staubigen Schuhen. Dem Ministerpräsidenten des Saarlandes passt auch in der Politik manches nicht. Wer – wie Bundeskanzler Gerhard Schröder – vor der Bundestagswahl versprochen habe, dass die Renten an die Entwicklung der Nettolöhne gekoppelt bleiben würden, dürfe heute nicht davon abrücken, schimpft Klimmt seit Wochen. Vor Gewerkschaftlern in Saarbrücken erklärt er, warum: „Sonst fühlen sich die Menschen betrogen.“

Den Anzug von Manfred Stolpe kann indes niemand sehen. Sein Gesicht allein füllt die drei mal drei Meter breite Leinwand in der Cottbusser City. Ein trauriges Antlitz: nicht mehr nur überarbeitet, sondern schon erschöpft. Aber über Widerstand kann man sich aufbauen. Der Ministerpräsident von Brandenburg will wie sein saarländischer Amts- und Parteikollege dem Sparpaket der rot-grünen Regierung nicht bedingungslos zustimmen.

Stolpe aber muss sich jede Spitze gegen den auf der Kundgebung anwesenden Kanzler abringen. „Bei jeder Frage gilt: Was bringt es für Brandenburg?“, ruft Stolpe. Pause. Das Leinwandgesicht starrt ins Nirgendwo: „Auch bei der Rente.“ Die liegt hier bei 87 Prozent vom Westniveau. Wegen der langen Lebensarbeitszeit in der DDR ist sie real aber nicht selten höher als in den alten Ländern. Egal. Schröder will an das Altersruhegeld, alle hier sind dagegen, und darum auch Stolpe.

Zwischen Klimmt und Stolpe liegt heute Abend nicht weniger als ganz Deutschland. Doch über 600 Bahnkilometer zwischen Saarbrücken und Oder eint beide sozialdemokratischen Ministerpräsidenten ein Problem: Sie müssen sich von der unpopulären Bundesregierung absetzen. Klimmt agiert ganz offen: Er widerspricht vor dem Parteipräsidium, droht mit Ablehnung des Sparpakets im Bundesrat und wirbt auf Plakaten und Flugblättern für eine Vermögensteuer, deren Wiedereinführung Schröder kategorisch ablehnt. So will Klimmt die von seinem Vorgänger Oskar Lafontaine geerbte absolute Mehrheit der SPD im Saarland verteidigen.

Auch der seit 1990 amtierende und seit 1994 allein regierende Manfred Stolpe könnte diesmal zu einer Koalition mit PDS oder CDU gezwungen sein. Welchen der ungleichen Partner er bevorzugen würde, lässt er offen – programmatisch ist Stolpes SPD sowieso schwer flexibel. Stolpe weiß, wo er seinen Brandenburgern entgegenkommen muss.

Die Partei wirbt gegen ihre eigene Überzeugung für Abitur nach nur zwölf Jahren. Stolpe, ein halbes Leben im Dienst der evangelischen Kirche, sieht zu, wie in Brandenburg der Religionsunterricht zurückgedrängt wird.

Klimmt kann dagegen nicht gegen seine Überzeugung an. Und er freut sich jedes Mal, wenn seine einstudierte Wahlkampfrede an den immer gleichen Stellen von Beifall unterbrochen wird.

Die SPD dürfe „bei Strafe des Untergangs“ die kleinen Leute nicht vernachlässigen. Applaus. Ein Sozialdemokrat habe sich nicht am Dax zu orientieren, sondern an den Bedürfnissen der einfachen Menschen. Heftiger Beifall. „Die Reichen und die Superreichen“ hätten deshalb auch ihren Beitrag zur Konsolidierung des Bundeshaushaltes zu leisten, etwa durch die Wiedereinführung der Vermögensteuer. Jubel. Klimmt kommt zum furiosen Finale: „Die SPD bleibt die Partei der sozialen Gerechtigkeit.“

Die (subventionierte) Kohle werde auch noch über das Jahr 2005 hinaus im Saarland „von einiger Bedeutung“ sein, verspricht Klimmt. Und die (subventionierte) Stahlproduktion sei doch schon heute eine der „vielen Zukunftstechnologien“ im Saarland. „Strukturwandel, ja“, sagt er. „Aber bitte, ohne das bewährte Alte ganz aufzugeben.“

Den Gewerkschaften verspricht der Ministerpräsident seine Unterstützung beim Kampf um höhere Löhne – zur Stärkung der Binnennachfrage. Klimmt verspricht im Herbst 1999, was Lafontaine im Bundestagswahlkampf versprochen hat, was Sozialdemokraten immer schon versprachen, bis Finanzminister Hans Eichel und Bundeskanzler Schröder auf die Idee kamen, die rot-grüne Regierung müsse die Staatsfinanzen in Ornung bringen.

Der in Berlin geborene Klimmt sei längst ein „Saarlänner aus Iwwerzeuchung worre“, meint ein begeisterter Zuhörer. Und die „Saarlänner“ hätten doch schon immer „quer zum Reich geleeche“. Das Reich; so nennen sie hier den großen Rest der Bundesrepublik Deutschland. Und wer gegen „das Reich“ aufmuckt, liegt richtig. Die Sozis von der Saar würden ihre Genossen aus dem Reich mit ihren Spardebatten und Negativschlagzeilen am liebsten auf den Mond schießen.

In Brandenburg hingegen hofft man noch immer auf Schröder. Der könne nun zeigen, wie er „die Chefsache Ost praktiziert“, sagt Stolpe. Wieder so ein versteckter Pikser. Stolpe bringt das Kunststück fertig, prinzipiell für den Sparkurs und konkret gegen jede Einsparung zu sein, die Brandenburg trifft – schizophren, aber mit Methode. Im Kososvo-Konflikt stützte Stolpe die kriegführende Regierung und wurde gleichzeitig nicht müde, die Friedensliebe „unserer Menschen“ im Osten zu loben.

Dem Saarländer Reinhard Klimmt passt weder sein Anzug noch die Politik der rot-grünen Bundesregierung

Die wollen bei jeder Wahl neu gewonnen werden. Zwar wurde die Sozialdemokratie im Osten 1989 im brandenburgischen Schwante neu gegründet, zwar regiert die SPD hier seit einem Jahrzent, zwar hat sie hier mit Regine Hildebrandt die ostdeutsche Sozialdemokratin schlechthin hervorgebracht, aber verwurzelt ist die Partei im weiten Land zwischen Spremberg und Finsterwalde noch lange nicht.

Viele Cottbusser, die heute Stolpe und Schröder lauschen, werden in zwei Tagen auch die CDU-Großkundgebung mit Ex-Kanzler Helmut Kohl besuchen. Es ist ihnen eigentlich egal, wer aus Potsdam, Bonn oder Berlin kommt. „Haben Sie einen Scheck für weitere Investitionen mitgebracht?“, hat der Betriebsratsvorsitzende eines ehemaligen Stahlkombinats am Nachmittag den hohen Besuch gefragt. So hätte er auch Helmut Kohl angesprochen.

Reinhard Klimmt kennt seine Gewerkschafter im Saarland persönlich. Die gratulieren nach der Rede per Handschlag. Dieser Ministerpräsident wird immer für höhere Löhne kämpfen. „Der Klimmt ist einer von uns“, sagen sie. Tatsächlich wollen fast 70 Prozent der Saarländer ihn wieder auf dem Sessel des Ministerpräsidenten sehen, seinen Herausforderer Peter Müller (CDU) nur 30 Prozent. Wenn es am Sonntag dennoch nicht reicht, waren Schröder und seine Modernisierer schuld. Wie die Wahl auch ausgeht, die Stimmen des Saarlands kriegt Schröders Sparpaket nie, glauben im hier alle.

Auch Manfred Stolpe gibt sich weiter kämpferisch. Brandenburger Pendler brauchen billigen Sprit. Der Benzinpreis dürfe deshalb nicht teurer werden. „Unsere Landwirte müssen auch weiterhin verbilligten Diesel bekommen.“ Und über die Ostrenten werde er noch einmal mit Schröder reden. Auf seine Brandenburger lässt Stolpe nichts kommen, Parteisolidarität und Staatsräson hin oder her. Wenn Schröder ihn mit hochgezogenen Augenlidern böse anguckt, lächelt Stolpe verlegen. Sein Widerstand gegen Schröder steht – bis Sonntag.