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Die Ethik als Betriebsunfall

■ Vom Opfer zum Täter: Peter Zadeks „Hamlet“-Inszenierung in der Schaubühne

Zadek, Hamlet ... die Sache ist die, dass die Schreiberin sich in der alten Schaubühne immer erst ein bisschen locker machen muss. Von Vorurteilen und den zweifelsohne richtigen Vorstellungen davon, wie kluges und schönes, unterhaltsames und zeitgemäßes Theater sein soll: so, wie die Eltern sich eben in der Volksbühne ein bisschen locker machen müssen. Man kauft sich ein Programmheft zum Blättern, und dann geht es schon.

Statt eines lustigen Bändchens mit Zizek- und Greenblatt-Traktaten gibt es den vollständigen Abdruck der Shakespeare-Übertragung von Elisabeth Plessen zur speziellen Nachbereitung des viereinhalbstündigen Abends. Zadek, der altmeisterliche Spezialist für Shakespeare. Mit Hamlet zuletzt 1977 in Bochum. Tourneetheater diesmal, diesen Hamlet gab esschon in Wien und Zürich.

Die erste Überraschung: Es gibt kein Bühnenbild, bloß einen der riesigen Transportcontainer (bestellt von Wilfried Minks), die man vom Volksbühnenbildner Bert Neumann kennt. Die zweite: Dänemark ist gerüstet mit Maschinengewehren. Die dritte: Auch Angela Winkler als Hamlet ist 20. Jahrhundert, aber noch viel mehr als das. Diese schmächtige, geschlechtsneutrale Figur auf dürren X-Beinchen, gegürtet in ein schwarzes Sweatshirt, mit fettigem Langhaar im Gesicht, passt überall und nirgends hin.

Mann und Frau, Kind und Greis, Prinz und Bettler, Shakespeare und die 68er, verzweifelter Grübler, Zyniker und hysterischer Haudrauf: alles pathetische, obendrein ernst gemeinte Zitate, einzeln genommen Kitsch, zusammen ergreifend.

Die Differenz zwischen bekannt und befremdend, zwischen gepflegter Schauspielkunst und deren scharfer Überdrehung ins Entblößende, Zwangsidentifikatorische, qualvoll Tränenheischende, dynamisiert die Inszenierung. Es ist ekelhaft und faszinierend, diesem „süßen Prinzen“ beim Leiden zuzuschauen. Und tatsächlich, sobald die Winkler aus dem Bild verschwindet, kehren Augenmaß und Ödnis ein. Notgedrungen glotzt man den Schauspielern auf die Hände, weil sich in ihren Gesichtern wenig bewegt: Polonius (Ulrich Wildgruber) faltet sie rhythmisch immer wieder vor des Schmerbauchs Spitze, seiner Tochter Ophelia (Annett Renneberg) hat man erst eine Zigarette, später einen duftigen Blumenstrauß zum Festhalten gegeben, Brudermörder Claudius (Otto Sander) bekommt irgendwann das erlösende Whiskeyglas, Gattin Gertrud (Eva Mattes) eine Illustrierte und der Geist des toten Königs (Hermann Lause) ein Bimmelglöckchen. Ob der Wahnsinn dieses Beiwerks Methode hat – schwer zu sagen. Das Konzept der Inszenierung als Interpretation allerdings ist Methode durch und durch: Während üblicherweise Hamlet als Opfer der Familie, der fauligen Staatsmaschine, der eigenen Intelligenz und Sensibilität gezeigt und verstanden wird, verwandeln Zadek und Winkler den Prinzen systematisch in einen Täter. Hamlet denkt viel zu viel über sich und seine Gedanken nach – weshalb ihm beim Passieren eines Schlachtfelds und künftigen Massengrabs auch nichts weiter einfällt als: „O seid voll Blut, ab jetzt, Gedanken, oder zu nichts gut.“ Und siehe da: So, wie aus Hamlets anfänglichem Beleidigtsein ein hochmoralisches Ansinnen erwuchs, gebiert dies nun versehentlich eine ganze Serie von Leichen: Freunde, Geliebte, Onkel, Mutter, Hamlet. Betriebsunfall Ethik? Als sei damit noch nicht alles tot, aus und vorbei genug, kassiert Nachbar Fortinbras auch noch Dänemark. Ganz locker, ohne Blut und Wunden.

Als Abgesang an die Selbstverherrlichung des Humanismus passt Zadeks Hamlet furchtbar genau ins Jahr 1999. Und vielleicht ist es ganz gut, dass er zu diesem Zweck nicht gerade das Theater neu erfunden hat. Eva Behrendt ‚/B‘Nächste Vorstellungen: Di., Do., Sa. u. So., 19.30 Uhr, Schaubühne, Kurfürstendamm 153

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