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Ein Paradestück der Klaustrophobie

■ Mit Performance gegen die neue Liebe zum Barock: Die 5. coopera-Werkstatt in Dresden

Auf dem Weg vom Bahnhof Dresden Neustadt zum naheliegenden Societätstheater beeindruckt den Fußgänger ein auffallend gelbes Plastikschild am Tor eines unscheinbaren Mietshauses. Unbefugten wird darauf der Zutritt verboten, Zuwiderhandelnden mit permanenter Videoüberwachung gedroht. Die letzten Minuten Fußweg reichen nicht aus sich vorzustellen, wer 24 Stunden täglich einen dunklen Hauseingang auf dem Monitor betrachten mag.

Die Grenzen zwischen öffentlichem und privatem Raum wurden in Dresden in den vergangenen zehn Jahren eklatant verschoben. Nicht immer zum Negativen: Das 1779 in einem Gartenhaus gegründete Societätstheater etwa, das bereits 1832 den Spielbetrieb einstellte, um verschiedene private Nutzungen zu erfahren und seit den 70ern dieses Jahrhunderts ganz leerzustehen, wurde kraft bürgerlichen Engagements wieder in öffentlichen Raum gewandelt.

Seit Februar wird das Haus nun erneut bespielt. Nur ist es so, dass Dresden eine Barockstadt ist und seit der Dresdner wieder Geld hat, er auch sein Barock wiederhaben will. Deshalb wurde nicht nur das alte Gebäude von grundauf historisch restauriert, sondern gleich auch ein historisierender Neubau daneben gesetzt. Und man gab sich größte Mühe, in dem gesamten Komplex die Zentralperspektive herrschen zu lassen. Hier die Bühne, dort der Zuschauerraum – alle Blicke werden gebündelt auf einen Punkt.

Der Voyeurismus, das Theater und die Leere

Dass sich der Blick auf und die Perspektiven im Theater verschoben haben, zeigt die 5. coopera-Werkstatt. Der 1994 von Ruth Berghaus-Schülern gegründete Verein initiiert jährlich in wechselnden Städten Projekte, die Künstler zum öffentlichen Produzieren ihrer Arbeiten vor Ort einladen. 1999 lud der studierte Architekt und Bühnenbildner Paul Zoller mit Friederike Clever, Thomas Kratz, Christine Meisner, Stefan Rummel, aloha, den Peanutz Architekten, der Lose Combo und Karsten Gundermann/Jens Neubert unter dem Titel „homo ludens“ Künstler ins Societätstheater, die bis auf die letztgenannten nicht Theatermacher, sondern bildende Künstler mit performativen Strategien sind. Ihre Aneignung des Theaterraums hat diesen umgehend erweitert und umgedeutet. Von Geschichten entleert spielt das Theater hier mit multiplen Perspektiven und ins Leere laufendem Voyeurismus.

Kratz entwarf einen kubusförmigen Aufsatz für das Giebeldach, der durch seine Position einen grandiosen Ausblick verspricht. Doch der Kubus hat keine Fenster zur Welt, weshalb dem Versprechen die Ernüchterung folgt – eine Erfahrung, dem gemeinen Theatergänger nicht unbekannt. Meisner hat einen ähnlich unbefriedigenden Bungalow in den Pseudo-Barockgarten gestellt. Aus einem verborgenen Teil des privaten Innenraums dringen aktionistische Geräusche, doch das von dort nach Aussen projiziertes Video zeigt, wie die Künstlerin anmerkt, weniger Action als „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“. Komplett dem Sinnlichen verweigert ist schließlich Clevers akribische Verschriftlichung von Künstlervideos.

Im reinszenierten Barock laden die Künstler zum negativen Lustwandeln. Sogar der Mann von der Überwachungskamera ist eingeladen: Im Keller kann er sich Zollers Foucault-inspiriertes „pan-opticon“ ansehen, dass Aufnahmen der Wände auf die Wände wirft, während es das Wand auf Wand guckende Publikum aufzeichnet, um es auf die Wände zu projizieren. Ein Paradestück über die Klaustrophobie generierende Selbstreferenzialität der Mittel und gleichzeitig die Fruchtbarkeit der Umlenkung des theaterkonditionierten Zuschauerblicks.

Christiane Kühl ‚/B‘ Bis 12. September, Societätstheater Dresden

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