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Schwere Geburt von „Wye-plus“

Barak und Arafat unterzeichnen Vertrag zur Umstetzung des Wye-Abkommens. Die ersten 200 Gefangenen werden schon diese Woche freigelassen  ■   Aus Jerusalem Susanne Knaul

Der monatelange Streit um die Umsetzung des Wye-Abkommens zwischen Israel und den Palästinensern ist beigelegt. Ministerpräsident Ehud Barak und Palästinenserpräsident Jassir Arafat unterzeichneten am frühen Sonntag morgen im ägyptischen Badeort Scharm al-Scheich ein entsprechendes Abkommen, das Regellungen über einen weiteren israelischen Truppenabzug und über die Freilassung von palästinensischen Gefangenen enthält.

Während die Vorbereitungen für die Unterzeichnungszeremonie, an der auch US-Außenministerin Madeleine Albright teilnahm, schon auf vollen Touren lief, sorgte Paragraf 10 des Abkommens noch für eine allerletzte Verzögerung. Beide Seiten verpflichten sich darin, im Verlauf der bevorstehenden Endstatus-Verhandlungen keinerlei Statusveränderungen im Gaza-Streifen und Westjordanland vorzunehmen.

Saeb Erikat, palästinensischer Verhandlungsleiter, hatte – so der Vorwurf seines Chefs – nicht erkannt, dass den Palästinensern damit die Ausrufung des Staates Palästina, die für Mai 2000 geplant war, untersagt wird. Arafat forderte eine Veränderung des Paragrafen. „Wir sind hier nicht auf einem orientalischen Markt“, kommentierte Barak und schüttelte den Kopf, als Albright ihm die Nachricht des Palästinenserpräsidenten überbrachte. Erst spät in der Nacht gab Arafat nach, nicht jedoch ohne zuvor eine schriftliche Bürgschaft der Amerikaner erwirkt zu haben, in der sie sich verpflichten, für die Umsetzung der Vereinbarungen einzustehen.

Trotz der Zugeständnisse, die den Palästinensern vor allem in der Endphase der Verhandlungen hinsichtlich der Amnestiefrage abverlangt wurden, zeigte sich Arafat über die erreichten Einigungen befriedigt. Statt der zunächst geforderten 650 Sicherheitshäftlinge werden zwar insgesamt nur 350 Männer auf freien Fuß gesetzt; die erste Gruppe von 200 Inhaftierten soll bereits in dieser Woche entlassen werden.

Doch ungleich größere Bedeutung hat die Tatsache, dass im Anschluss an die fünfmonatige Zeitspanne, die für die Umsetzung der Wye-Plantation-Vereinbarungen angesetzt ist, 41 Prozent des Westjordanlandes unter palästinensischer Kontrolle stehen werden. Nach Ansicht von politischen Beobachtern auf israelischer Seite bedeutet dies einen „maximalen Erfolg“ für Arafat und ist vor allem mit Blick auf die Gründung des Palästinenserstaats wichtig.

Des Weiteren ist für den 1. Oktober die Öffnung der ersten sogenannten sicheren Passage geplant, eine Verbindungsstraße zwischen Gaza-Streifen und Westjordanland, auf der die Palästinenser mit Sondergenehmigungen oder in bewachten Konvois das israelische Kernland durchqueren. Ebenfalls für Anfang Oktober ist der Baubeginn des Hafens in Gaza geplant.

Auf israelischer Seite wurde vor allem Kritik bei denen laut, die den Originalvertrag ausgehandelt hatten. Oppositionschef Ariel Scharon sprach von einem „moralischen Bankrott“ und einem Vertrag, der „die Sicherheit der Bürger Israels gefährdet“. Damit spielt Scharon zum einen auf die Amnestie der Sicherheitsgefangenen an, zum zweiten auf den Mangel von Handlungsmöglichkeiten für den Fall, dass die Palästinenser ihren Teil des Vertrages nicht erfüllen. Der Originalvertrag hat ein Pingpongprinzip in der Umsetzung vorgesehen. Sollte eine Seite ihre Auflagen nicht erfüllen, würde auch die andere Seite die Umsetzung stoppen, was schließlich zum Stillstand geführt hatte.

Scharfe Töne gegen die eigene Führung wurden auch auf palästinensischer Seite laut. Bereits während der Verhandlungen hatten Demonstrationen stattgefunden, die an Arafat appellierten, in der Frage der Gefangenenamnestie nicht nachzugeben. Vor allem bei den Angehörigen der von der Amnestie ausgeschlossenen Häftlinge macht sich Frustration breit. Scheich Jassin, geistiger Führer der Hamas, sprach von einem „weiteren Verrat Arafats“.

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