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Roma werden hinter die Mauer verbannt

■ Eine Trennwand, die eine Roma-Siedlung von den Häusern der anderen Bewohner trennt, soll im nordtschechischen Ústi nad Labem jetzt doch gebaut werden. Betroffene Roma erwägen Ausreise

Prag (taz) – Die umstrittene Mauer, die in der nordböhmischen Stadt Ústi nad Labem zwei von Roma bewohnte Mietshäuser von den Häusern ihrer „weißen“ Nachbarn trennt, soll nun doch bis Ende Oktober errichtet werden. Der Baubeginn der 1,80 Meter hohen und 62 Meter langen Trennwand stehe aber noch nicht fest, sagte Bezirksbürgermeister Pavel Tosovsky gestern. Entgegen früheren Plänen sollen jetzt in die Mauer zwei Tore zur Straße eingebaut werden, die jedoch nach 22 Uhr verschlossen würden.

Seit knapp zwei Jahren beschäftigt die Mauer in der Maticni-Straße im Stadtteil Nestemice Politiker, Presse und Menschenrechtler. Aus der ursprünglich geplanten vier Meter hohen Mauer ist deshalb inzwischen ein zwei Meter hoher Keramikzaun geworden, was die Problematik jedoch nur kosmetisch verschönert. Das Bürgermeisteramt des Stadtteils Nestemice hat mit dem Magistrat der Stadt Ústi die Entscheidung, die de facto einen Teil der Bevölkerung vom Rest abgrenzt, immer wieder vehement verteidigt – allen internationalen Protesten und Vorwürfen der Ghettoisierung und des Rassismus zum Trotz.

Als Anfang der vergangenen Woche die Bauarbeiter anrückten, widerrief das Kreisamt den Magistratsbeschluss. Begründung: Im Magistrat habe man den Bau genehmigt, ohne vorher zu untersuchen, ob der sich im Einklang mit geltenden Naturschutzbestimmungen befände und nicht gegen Menschenrechte verstosse.

Was als letzter verzweifelter Versuch aussah, das Unheil abzuwenden, das die Stadt international in Verruf gebracht hat, war schon im November letzten Jahres entschieden worden. Sollte die Stadt Ústi auf dem Bau des Zaunes bestehen, beschloss die Regierung, den Magistratsbeschluss durch das Kreisamt – in Tschechien ein Staatsorgan unter Selbstverwaltung – widerrufen zu lassen.

Schon war Anfang vergangener Woche auf der einen Seite der Maticni-Straße gefeiert worden. „Vielleicht lassen sie uns ja endlich in Ruhe“, hoffte ein Bewohner der umstrittenen Sozialbauten, in denen bis zu siebenköpfige Familien in zwei Zimmern ohne Bad hausen müssen. Tags darauf sah alles ganz anders aus. Das Magistrat erklärte den Beschluss des Kreisamts für ungültig. Jan Kocourek, Stellvertreter des Bezirksbürgermeisters, erklärte dazu: „Wir haben unseren Wählern versprochen, dass wir ihr Problem lösen. Und das werden wir tun.“

Die Wähler, die jetzt die Mauer mit zwei Toren erzwungen haben, sind in diesem Fall die Bewohner von vier Familienhäusern in der Maticni-Straße. Seitdem das Magistrat Mietsünder aus ganz Ústi in die gegenüberliegenden Blöcke gesteckt hat, sei es aus mit dem Frieden, so klagen sie. Die unwillkommenen Nachbarn stören nicht nur den wohlverdienten Feierabend durch lautes Zusammensitzen bis in die späte Nacht hinein, sie seien auch äußerst schmutzig und dazu noch gewaltbereit.

Nicht einmal wegziehen kann der Wähler, denn die Grundstückspreise in der Maticni- Strasse sind im Keller. Kaum ein Tscheche wurde freiwillig ein Haus in unmittelbarer Nachbarschaft der cikáni, der Zigeuner, erstehen.

So entschlossen sich die Wähler Anfang letzten Jahres, mittels einer Bürgerinitiative, die Stadtväter um Hilfe zu ersuchen. Diese wiederum beschlossen das Problem in geradezu solomonischer Weisheit zu lösen, die ihresgleichen nur in Schilda findet: Die zwei störenden Bauten samt Bewohner durch eine Mauer vom Wähler abzutrennen. Damit dieser wieder ruhig schlafen kann, sollte die Mauer nur einen Hinterausgang haben.

Sprachs und die Hölle brach los über Ústi und mit ihr Medien aus aller Welt. Wie Affen im Zoo kämen sie sich vor, beklagten sich die Bewohner der umstritten Mietshäuser: „Als nächstes werfen sie uns dann Bananen über den Zaun“, witzelten sie.

Nach dieser Art von Galgenhumor ist den betroffenen Roma am allerwenigsten zumute. Sie lehnen die Mauer trotz der zwei Tore weiter ab. Sie wollten frei leben und nicht „im Gefängnis“, erklärte ihr Sprecher Jozif Lazko. Sollte die Mauer gebaut werden, würden die Roma eine Petition an Staatspräsident Václav Havel schreiben und ihn bitten, Geld für Flugtickets ins Ausland bereitzustellen: „Dann gehen wir eben weg, damit endlich Ruhe ist“, sagte er. Ulrike Braun

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