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Riesa macht Reklame

Ein cleverer Bürgermeister will die sächsische Provinzstadt zur Sporthochburg des Ostens aufbauen – Ex-Dopingsünder und Sumo-Ringer sollen Investoren anlocken    ■ Aus Riesa Markus Völker

„Marc Huster, sind Sie gedopt?“ – „Natürlich, aber nur mit den neuen Fitmacher-Nudeln von Teigwaren Riesa.“

Telefoniert man ein bisschen herum in der sächsischen Provinzstadt Riesa, dann landet der Anrufer irgendwann einmal bei einem ortsansässigen Nudelfabrikanten. In der Warteschleife hört er dann folgendes: „Marc Huster, sind Sie gedopt?“, fragt eine bekannte Stimme vom Spartensender Eurosport. Darauf antwortet Huster: „Natürlich, aber nur mit den neuen Fitmacher-Nudeln von Teigwaren Riesa.“

Huster ist Gewichtheber, eine Disziplin mit der weltweit höchsten Quote positiver Dopingbefunde. Muss der Anrufer länger warten, kann er sich auch noch den gleichen Dialog mit Katrin Jäke und Jens Kruppa (beide Schwimmer) anhören, und auch Jürgen Schult und Harald Czudaj sind per Band am Apparat. Schult ist Diskuswerfer, Czudaj Bobpilot.

Alle Sportler starten für Riesa. Alle schleppen sie einen mehr oder minder großen Schatten mit sich herum. Den löscht auch kein lockerer Werbespruch aus, selbst wenn die Kampagnenchefin Sylvia Freidler einräumt: „Sicher haben wir uns mit den Trailern auf vorbelastetes Terrain gewagt, aber jeder hier, auch die Sportler, hat das gut gefunden und den Wortwitz verstanden.“ Das glaubt man gern.

Riesa macht Reklame. Die Elbestadt möchte sich als die ostdeutsche Sportstadt etablieren und präsentieren. Aber hat sie sich auch die richtigen Werbeträger ausgesucht? Kruppa und Jäke werden von einem Trainer betreut, Uwe Neumann, der jüngst einen Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Dresden bekam. Er ist des Dopens Minderjähriger angeklagt. In der Gauck-Behörde hat Neumann eine Akte. Er wird als IM „Holbert“ geführt. In den Schwimmhallen der Republik ist er Persona non grata, in Riesa aber kann er ungehindert seiner Tätigkeit nachgehen. Schult wurde zu Zeiten realsozialistischen Plandopings unter der Nummer 23 geführt. Die systematische Einnahme des anabolen Steroids Oral-Turanibol in den Achtzigern ist belegt. Sein Uralt-Weltrekord von 74,08 Meter gilt heute als mehr oder weniger unerreichbar. Czudaj wurde weniger auf Grund der Einnahme unerlaubter Substanzen auffällig, auch ihm wurden Spitzeldienste für die Stasi zur Last gelegt.

Wolfram Köhler ist in Erklärungnöten. Der Riesaer Bürgermeister, der all die Sportler nach Sachsen geholt hat, versucht die Einwände vom Tisch zu wischen. Die Werbespots seien unter der Rubrik Selbstironie gelaufen, sagt er. Neumann bekomme von der Stadt keinen Pfennig. Czudajs Akte habe er selbst begutachtet. „Also, was soll's“, sagt er. Mit der Vergangenheit hat es Köhler (CDU) nicht so. Er orientiere sich nicht an dem, was war oder ist, sondern an dem, was wird. Das ist sein Motto.

Wie aber kann sich ein DDR-Kritiker, Sohn eines Thüringer Pfarrers, mit Belasteten umgeben? Einst war Köhler Liedermacher, er ist zusammen mit Stephan Krawczyk aufgetreten. 1987 wurde er in den Westen abgeschoben. Zuerst antwortet er: „Ich weiß auch nicht. Ich bin ein Stück weit dahin gedrängt worden.“ Nach der Phase des Grübelns fügt er an: „Man trifft sich eben auf dem sächsischen Markt.“ Spontane Freundschaften seien dort entstanden. Da ist er ganz pragmatisch. Was gut ist für die Stadt, wird auch gemacht. Nebenwirkungen müssen in Kauf genommen werden. Da schrecken auch nicht Namen wie Thomas Springstein, einst Betreuer Katrin Krabbes. Köhler war mit dem Lebensgefährten und Coach von Grit Breuer, die dereinst auch zwei Jahre wegen Dopings gesperrt war, in Verhandlungen. Sie scheiterten schließlich.

Köhler hatte eigentlich Anderes mit Riesa vor. 1990 kehrte er „aus Berufung“ in den Osten zurück. Er wollte den Sachsen Kleinkunst- und Chansonfestivals in die Stadt bringen, musste aber feststellen, dass „in der etablierten Kultur keiner bereit ist, einen neuen Standort zuzulassen“. Im Sport sah das schon anders aus. Sport ist der treibende kulturelle Faktor im Osten, aus dem auch Städte wie Chemnitz, Erfurt oder Halle/Saale Kapital schlagen.

Köhler orientierte sich also um und richtete „Manpower und Professionalität“ auf den Sport aus. Von einer Anzeige in einer überregionalen Zeitung sah Köhler ab, klebte stattdessen auf den Bob von Czudaj den Slogan „Investieren in Riesa“. Köhler: „Das war ein Riesenerfolg.“

Riesa hat den Mitkonkurrenten um den Titel „Sportliche Hochburg im Osten“ unternehmerische Chuzpe voraus. „Wir haben es einfach plumper und frecher gemacht als andere“, weiß der Bauernschlaue zum Vorsprung seiner Stadt. „Riesa hat sich nie Gedanken gemacht, was unantastbar ist, wir haben schnell gewusst, wo wir wirklich stehen.“ Aus dem brachliegenden Stahlstandort formte der 31-Jährige einen flexiblen Ausrichter von Sportevents.

Event gehört zu den Lieblingswörtern von Köhler. Sport könne nicht für sich selbst stehen, sondern brauche den kulturellen Rahmen, erklärt er.

So ließ er, um für die im Dezember stattfindende Sumo-WM zu werben, ein Kammerorchester aus überlebensgroßen Sumo-Ringern modellieren. Die stehen nun vor der Halle wie die Terrakotta-Armee von Xian. Beim Künstler Jörg Immendorff hat er die Skulptur „Elbquelle“ in Auftrag gegeben. 25 Meter hoch steht der „Baum der Erkenntnis“ an der Elbe.

Mit Sumo-Ringen hat Riesa den Durchbruch geschafft. Vor einem Jahr fanden die Europameisterschaften der beleibten Männer statt. Eigentlich wollte Köhler nur olympische Sportarten nach Riesa holen, wie Boxen, Judo oder Gewichtheben.

Das hat auch geklappt, weil Riesa nahm, was keiner wollte: Sie richteten nationale und internationale Titelkämpfe aus, die kurzfristig von den Ausrichtern abgegeben wurden. Irgendwann war Sumo frei. Köhler hat sich gesagt, „wenn wir's machen, dann richtig, mit Lehmfußboden und allem“. Das hat die Japaner und den Sumo-Weltverband derart beeindruckt, dass sie die Weltmeisterschaften erstmals nach Europa vergeben haben.

Die Titelkämpfe werden in der neuen Mehrzweckhalle „Sachsen-Arena“ stattfinden, die Köhler für 17 Millionen Mark bauen lässt. „Riesa hat Wahnsinniges erreicht“, sagt Köhler, „aber um das mit Substanz zu füllen, braucht es noch zehn bis fünfzehn Jahre.“ Erst jetzt beginne die wirkliche Arbeit. Es gelte, sein Knowhow an einen zuverlässigen Mitarbeiterstab weiterzugeben. Zudem müsse eine Sportschule her. Um die bürokratischen Hürden schneller zu nehmen, plant er das erste private Sportinternat in den neuen Ländern. Dann ja vielleicht auch ohne Altlasten.

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