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Auch am Arbeitsplatz sollen Gentests zulässig sein

■ Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) plädiert für den vorsichtigen Umgang mit Gentests. Doch eine gesetzliche Regelung zum Schutz der Patienten lehnt sie entschieden ab

Die „Entschlüsselung“ des menschlichen Erbguts läuft weltweit auf Hochtouren. WissenschaftlerInnen aus über 50 Staaten hoffen, die schätzungsweise 70.000 bis 100.000 Gene bis Ende 2003 lokalisiert zu haben. Die Genomforschung soll MedizinerInnen auch eine Fähigkeit vermitteln, die sie Jahrhunderte nicht hatten: viele Krankheiten vorherzusagen, die noch gar nicht ausgebrochen sind. „Möglichkeiten, Grenzen und Konsequenzen prädiktiver genetischer Diagnostik“ beleuchtet nun eine wissenschaftliche Stellungnahme, die sich an Politik und Öffentlichkeit richtet (http://www.dfg.de/aktuell/dokumentation). Verfasst hat sie die Senatskommission für Grundsatzfragen der Genforschung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), ein Gremium aus ProfessorInnen unterschiedlicher Disziplinen.

In Deutschland bieten Kliniken, Arztpraxen, Firmen und Labore über 100 verschiedene molekulargenetische Tests an, zum Beispiel zur Prognose von Krankheiten wie Mukoviszidose, Veitstanz, Hämochromatose, Brustkrebs oder Alzheimer-Demenz. Analysiert werden Blut- oder Gewebeproben des Testwilligen, wobei jeder Gentest auf ein bestimmtes Krankheitsrisiko beschränkt ist; ein allgemeines Suchverfahren, das sämtliche vererbbaren Risiken erfassen könnte, gibt es bislang nicht.

Nach Darstellung der DFG-Kommission ist die Aussagekraft genetischer Analysen allerdings ziemlich begrenzt: „Ob die betreffende Krankheit tatsächlich auftreten wird“, schreiben die ProfessorInnen, „lässt sich durch den Test nicht sicher entscheiden. Auch der Zeitpunkt des späteren Auftretens lässt sich nicht genau aus dem Befund ableiten.“ Falls die Prognose zutreffe, könnten zwischen Testergebnis und ersten Krankheitszeichen „viele Jahre oder sogar Jahrzehnte vergehen“ – eine Ungewissheit, die Menschen verunsichern könne.

Trotz solcher Unwägbarkeiten sieht die Kommission „Chancen“, dass Gen-Diagnosen auch frühzeitige Therapien und Vorbeugemaßnahmen ermöglichen könnten. Noch sind sie nicht möglich, trotz intensiver Bemühungen: Rund 3.000 Menschen haben seit 1989 weltweit an gentherapeutischen Versuchen teilgenommen. „Gegenwärtig“, so bilanziert jedoch die Kommission, „können die meisten genetisch bedingten Krankheiten nicht ursächlich behandelt werden.“

Grundsätzlich sollten Gentests nach der DFG-Empfehlung nur vorgenommen werden, wenn eine ärztliche Begründung vorliege. Zudem müsse beachtet werden, was auch für jeden medizinischen Eingriff gilt: die vorherige umfassende Aufklärung des Patienten und dessen freie Zustimmung. Kinder und Jugendiche sollten nicht getestet werden, wenn die Untersuchung auf die Prognose einer Krankheit ziele, die erst im Erwachsenenalter auftreten und nicht behandelt werden könne.

„Der Umgang mit dem neuen genetischen Wissen“, schreibt DFG-Präsident Ernst-Ludwig Winnacker im Vorwort, müsse „im sozialen Kontext gesehen werden, also in seinen gesellschaftlichen Auswirkungen auf das Individuum und auf die Gesellschaft als ganze“. Die Kommission empfiehlt denn auch, „prädiktive genetische Diagnostik in ihrer Anwendung auf den Gesundheitsbereich zu beschränken“.

Gleichwohl plädiert sie dafür, Ausnahmen zuzulassen. Diese betreffen nicht nur das Fahndungsmittel Massen-Gentest, das hierzulande zur Aufklärung von „Straftaten von erheblicher Bedeutung“, etwa Sexualverbrechen oder Erpressung, erlaubt ist. Die ProfessorInnen halten auch Gentests am Arbeitsplatz für vertretbar, „wenn es um den sicher voraussehbaren Ausbruch einer genetischen Krankheit geht, die mit dem Arbeitsverhältnis“ im Zusammenhang stehe. Solche Untersuchungen hat der Deutsche Gewerkschaftsbund wiederholt abgelehnt. Statt per Gentest empfindliche ArbeitnehmerInnen ausfindig zu machen und zu ersetzen, rät der DGB, lieber krank machende Arbeitsstoffe zu ersetzen.

Im Versicherungsbereich teilen die DFG-ExpertInnen die Position des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Der hatte im Frühjahr bekräftigt, vor Abschluss einer privaten Lebens- oder Krankenversicherung auf absehbare Zeit keine Gentests zu verlangen, zumal deren Aussagekraft noch unklar sei. Allerdings sei ein Antragsteller, der bereits einen Gentest hat vornehmen lassen, verpflichtet, dem Versicherer den Befund mitzuteilen. Anders sieht die Rechtslage in Österreich aus: Dort ist den Assekuranzen jede Nutzung von Gen-Informationen verboten.

Die Problematik ist auch der rot-grünen Bundesregierung geläufig: „Wir werden“, heißt es im Koalitionsvertrag, „den Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor genetischer Diskriminierung insbesondere im Bereich der Kranken- und Lebensversicherung gewährleisten.“ Entsprechende Gesetzesinitiativen gibt es bisher nicht – und DFG und GDV halten sie auch nicht für notwendig. Klaus-Peter Görlitzer

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