: Beinbruch nicht ausgeschlossen
■ Das Schauspiel am Bremer Theater wird jetzt von drei neuen DramaturgInnen verantwortet. Das erste Ergebnis: Sie wollen fortan mehr Stücke frisch von der Festplatte auf die Bühne bringen
Was hat man auf die Dauer von dem flotten Lebenslauf mit garantiert ausgeschlossenen Beinbrüchen?“ fragt Kurt Boll. Eben dieser Kurt Boll ist die Hauptfigur aus Ernst Barlachs Drama „Der blaue Boll“, mit dessen Aufführung am kommenden Sonntag die neue Spielzeit am Bremer Theater beginnt.
Sie ist nicht nur die erste Saison in der zweiten fünfjährigen „Amtszeit“ des Intendanten Klaus Pierwoß, sondern zugleich auch die erste mit einer völlig neu besetzten Schauspieldramaturgie. Joachim Lux und Susanne Meister zog's nach Wien und Iris Laufenberg erst mal weg vom Theater. Dafür kamen Joachim Klement als neuer Chefdramaturg aus Mannheim, Beate Heine aus Berlin und Bettina Schültke aus München. Und, um beim Boll zu bleiben: Beinbrüche sind fortan garantiert nicht mehr auszuschließen.
Im Gegensatz zum Musiktheater preschte das Schauspiel in den vergangenen fünf Jahren nicht mit Uraufführungen voran. Matthias Altenburgs „Alles wird gut“ blieb die einzige Ausnahme. Deutsche Erstaufführungen von Stücken der arrivierten und ihre Glanzzeit schon hinter sich habenden AutorInnen wie Lina Wertmüller oder Dario Fo kamen hinzu. Mit Elfriede Jelineks „Sportstück“ waren die BremerInnen immerhin ganz dicht dran. Gleichwohl widerlegen meist im Brauhauskeller gespielte zeitgenössische Vorlagen von Nicky Silver oder Marius von Mayenburg die Mär, dass sich Bremen abgekoppelt und vor allem auf neue Interpretationen von Klassikern beschränkt hat. Trotzdem fällt in der neuen Saison eine Akzentverschiebung auf: Mit René Polleschs „Harakiri einer Bauchrednertagung“ und Vera Kissels „Mondkind“ sind gleich zwei Uraufführungen geplant. Und Richard Dressers „Unter der Gürtellinie“ (Premiere am 19. September), Edward Thomas „Engel der Tankstelle“ und Alexej Schipenkos „Suzuki I + II“ vervollständigen den neuen Schwerpunkt zeitgenössische Stücke.
„Beim ,Faust' ist das Theater voll – auch wenn die Inszenierung umstritten ist“, beschreibt die aus Berlin nach Bremen gekommene Beate Heine die kaum zu störende Klassikervorliebe vieler TheatergängerInnen. Trotzdem wollen die drei neuen DramaturgInnen dem Bremer Publikum in Zukunft pro Spielzeit etwa gleich viele neue Stücke präsentieren, bei denen man, so Klement, „nicht nachlesen kann, wie's gemacht wird“. Das Trio Joachim Klement, Beate Heine und die zurzeit im Mutterschutz weilende Bettina Schültke hat mit dem ebenfalls gelernten Schauspieldramaturgen Klaus Pierwoß die alte Dramaturgen-Hoffnung darauf, dass das Publikum eines Tages doch auf neue Themen und Stoffe neugierig wird. Immerhin gehen in Bremen auch schon viele Leute nicht wegen eines bekannten Titels, sondern wegen des hervorragenden Ensembles oder einzelner RegisseurInnen ins Schauspielhaus.
Den Ruf eines intakten Hauses habe das Bremer Theater außerhalb, sind sich Beate Heine und Joachim Klement einig. In der „Man kennt sich ja“-Szene hat sich herumgesprochen, dass gute RegisseurInnen wie Konstanze Lauterbach, Barbara Bilabel oder der gerade an der Volksbühne angestellte Thomas Bischoff auch in Bremen inszenieren. Dieses Rezept wollen die DramturgInnen, die an Spielplänen und Öffentlichkeitsarbeit mitbasteln und den RegisseurInnen zuarbeiten, auch nicht auf den Kopf stellen. Außerdem wissen sie ganz genau, dass ein Haus wie das Bremer Theater eine Art Gemischtwarenladen zwischen Repertoire- und Klassikerpflege und inhaltlicher Profilierung bleiben wird.
Ansonsten sagt Joachim Klement, was DramaturgInnen sagen: „Das Theater muss sich zur Gegenwart verhalten – durch neue Stücke oder neue Interpretationen der Literatur.“ Doch zum Gesagten kommen Pläne: „Wir wollen Autoren an das Theater binden“, sagt er und denkt an Stipendien, wie sie an anderen Häusern üblich sind. Die Finanzierung dieses Projektes ist allerdings noch genauso unklar wie die Lösung eines anderen Problems: „Das Profil der Concordia muss geschärft werden“, haben Klement und Co. erkannt. Aber schließlich haben die Drei gerade erst in Bremen angefangen. Und dafür haben sie im Spielplan schon ziemlich deutliche Spuren hinterlassen. Christoph Köster
Auftakt der Schauspielsaison mit Barlachs „Der blaue Boll“ am Sonntag, 12. September, um 20 Uhr im Schauspielhaus
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