: Unerwartet promiske Senderstrategie
■ „anders Trend“, „ANDERSrum“ oder warum Schwulen-TV plötzlich Konjunktur hat
Wie so oft ist die Geschichte hinter den Sendungen mal wieder interessanter als diese selbst: Jahrelang tingelten Vertreter der Produktionsfirma „Pro GmbH“ (Mitinhaber u. a. Alfred Biolek und Dirk Bach) durch die Lande, um irgendeinen Sender für ihr Konzept eines Schwulen-Magazins zu gewinnen. Doch irgendwie wollte da keiner so recht ran. Auch dem WDR war die Sache zu heikel. Bis man schließlich über „center tv“ Anfang des Jahres bei RTL Gehör fand. Das telegene Ergebnis hieß „anders Trend“. Ein von Georg „Carsten Flöter“ Uecker moderiertes Magazin rund ums Schwulsein, das am 22. Februar zu später Stunde bei RTL zu sehen war. Mit mehr als 2 Millionen Zuschauern fuhr die Sendung eine mehr als respektable Quote ein, und auch die werbetreibende Industrie, die Schwule und Lesben (wg. „double income, no kids“) schon lange als kaufkräftige Zielgruppe im Visier hat, buchte eifrig.
So schien weiteren Ausgaben des Magazins eigentlich nichts im Wege zu stehen, bis „Pro“ Anfang August überraschend aus dem Projekt ausstieg. Was „center tv“-Chef André Zalbertus heute „zutiefst bedauert“, aber eigentlich nicht nachvollziehen kann: „Mir wurde Vertragsbruch vorgeworfen, weil ich mich kurzfristig für zwei Specials à 60 Minuten statt der ursprünglich geplanten Staffel von 3 x 30 Minuten entschieden habe. Aber unter dem Strich heißt das doch eine halbe Stunde mehr Sendezeit für schwules Fernsehen.“ Georg Uecker sieht das anders: „Ursprünglich war mal an eine Staffel von sieben Folgen gedacht, dann waren es noch drei, und plötzlich sollten wir uns auf zwei beschränken. Aber uns ging es immer um die Regelmäßigkeit eines Magazins und nicht um irgendwelche ,Specials‘ zum Welt-AIDS-Tag oder ähnlichen ,Schwulen-Feiertagen‘.“
Wie auch immer: Als Folge des Knatsches flimmern in den nächsten Wochen gleich zwei bzw. drei Schwulen-Magazine über den Schirm. Am 13. September gibts die zweite Ausgabe von „anders Trend“ bei RTL, das „center-tv“ nun selbst produziert. Den Moderator macht der ehemalige „Explosiv“-Wochenendmann Boris Henn, dessen (spätes) Coming-out prompt für einiges Rauschen im Blätterwald sorgte. „Das mit dem ,spät‘ ist Quatsch“, beteuert Henn. „Ich habe mein Schwulsein immer offen gelebt. Aber ich bin nur ein Promi der zweiten Reihe, und bis vor kurzem hat sich einfach keiner für mich interessiert.“ Und neben dem Magazin „anders Trend“ bekommt Henn mit „gay watch“ bei Vox ab 22. September gleich auch noch eine schwule Talkshow, ebenfalls produziert von „center tv“ im Auftrag von DCTP. Weshalb André Zalbertus den Monat unverzüglich zum „Warmen September“ erklärte.
Bei „Pro“ indes wollte man die Kompetenz in Sachen Schwulen-TV natürlich nicht kampflos an den ehemaligen Geschäftspartner abtreten. So fand man plötzlich doch beim WDR Gehör, und um noch vor der Konkurrenz auf dem Schirm zu sein, stampfte man in der Rekordzeit von zweieinhalb Wochen das „schwul-lesbische“ Magazin „ANDERSrum“ aus dem Boden, das nun – moderiert von Georg Uecker – schon Sonntag Nacht um 0.15 Uhr auf WDR zu sehen ist. Reinhard Lüke
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