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Ohne China läuft gar nichts

■ Nicht westlicher Zynismus, sondern die realpolitische Situation in Südostasien verhindert eine schnelle UN-Intervention in Osttimor. Immerhin reden Peking und Washington seit diesem Wochenende wieder miteinander

Warum sollten Japan und Südkorea in Osttimor eingreifen, wenn sie jahrelang nichts Entscheidendes gegen den Hunger in Nordkorea taten?

Man kann der Bundesregierung Inkonsequenz vorwerfen, wenn sie sich im Gegensatz zum britischen Premierminister nicht umgehend bereit erklärt, eigene Soldaten für Osttimor bereitzustellen. Tatsächlich haben sich jedoch weder Bundeskanzler Gerhard Schröder noch sein Außenminister Joschka Fischer je zu einem universalen Menschenrechts-Interventionismus bekannt.

„Das wird kein Präzedenzfall, sondern die ganz, ganz große Ausnahme bleiben“, schränkte Fischer seine Bereitschaft zum militärisches Engagement noch während des Kosovo-Krieges ein. Und er betonte stets, dass der Kosovo-Konflikt „vor allem eine Frage der europäischen Sicherheit sei“. Das lässt sich für Osttimor nicht behaupten. Und so kann es nicht verwundern, wenn Fischer heute der indonesischen Regierung lediglich mit „harten Einschnitten in der finanziellen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit“ droht und sein Ministerkollege Rudolf Scharping in Sachen militärisches Einreifen in Osttimor klarmacht: „Das müssen andere tun.“

Gemeint sind hier die USA, und sie können sich auch weniger leicht ihrer Verantwortung entziehen. US-Präsident Bill Clinton kündigte erst vor wenigen Wochen an, dass verfolgte Minderheiten weltweit sich nicht mehr vor ethnischen Säuberungen fürchten müssten. Doch offenbar zählten die Versprechen eines internationalen Schutzes bisher wenig. „Osttimor ist nicht Kosovo“, erklang es aus Washington.

Dabei wird die Zeit für ein Eingreifen knapp: Nach Angaben des Militärs ist bereits ein Viertel der Bevölkerung Osttimors vertrieben worden. Und wie bemerkte noch 1995 der Sonderberichterstatter der UN-Menschenrechtskommission in Bosnien, Tadeusz Mazowiecki: „Die Bevölkerungstransfers waren nicht die Folge des Kriegs in Bosnien, sondern sein Ziel.“

Trotzdem kann man den westlichen Regierungen nicht jenen Zynismus unterstellen, der durchklang, als ein Sprecher des Washingtoner Außenministeriums die Zurückhaltung der USA mit einer Interessenlage begründete, die auf „humanitäre Bedenken und einige strategische Schiffswege“ begrenzt sei. Denn natürlich gibt es realpolitische Bedenken, die jeder westlich geführten Militärintervention in Asien vorausgeschickt werden müssen.

Bereits die sicherheitspolitischen Gespräche Bill Clintons am Rande der Apec-Konferenz in Auckland am Wochenende machten das Gefahrenpotential in der Region deutlich. Am Samstag hatte es Clinton zunächst mit dem chinesischen Partei- und Staatschef Jiang Zemin zu tun, der schon vor seinem Eintreffen in Neuseeland jede ausländische Militärintervention in Osttimor abgelehnt hatte. Dabei sind Jiangs Vorbehalte gegen jede Form von Interventionen weniger mit seinen Befürchtungen um ein ähnliches Eingreifen in Tibet zu erklären – wie dies westliche Beobachter gern unterstellen. Vielmehr fühlt sich Peking immer noch brüskiert: Seit 1989 hatte man alle vom Westen verantworteten UN-Friedensmissionen im Sicherheitsrat zugelassen, und dann wurde man zu Beginn des Kosovo-Krieges nicht einmal konsultiert. Seit der Bombardierung der chinesischen Botschaft in Belgrad durch US-Flugzeuge war es Clintons wichtigste außenpolitische Aufgabe, die beschädigten Beziehungen zu China zu reparieren – was ihm nun am Wochenende offenbar gelang. Beide Regierungen bekannten sich erstmals seit Monaten wieder zu einer „konstruktiven strategischen Partnerschaft“ und nahmen auch die Verhandlungen über den Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation (WTO) wieder auf.

Für die Sicherheitspolitik in Asien war außerdem entscheidend, dass beide Staatschefs gemeinsam das Verhalten des taiwanesischen Präsidenten Lee Tenghui verurteilten. Lee hatte mit seiner Forderung nach einem gleichberechtigten Verhältnis zwischen Taiwan und dem Festland eine bis heute andauernde Krise in den Beziehungen seiner Insel zu Peking ausgelöst. Doch solange Washington den taiwanesischen Ansprüchen keinen Rückhalt bietet, droht der innerchinesische Konflikt nicht zu eskalieren – eine Voraussetzung dafür, dass Washington und Peking überhaupt über andere Probleme reden. Aus diesem Grund waren Clinton bezüglich Indonesiens bis zum Gipfel mit Jiang die Hände gebunden. Erst jetzt kann auf Grundlage der amerikanisch-chinesischen Wiederannäherung eine konstruktive Debatte über Osttimor im Sicherheitsrat stattfinden.

Der zweite Krisenherd, der bei einem internationalen Eingreifen in Osttimor berücksichtigt werden muss, liegt auf der koreanischen Halbinsel. Am Sonntag traf Clinton die verbündeten politischen Führer Japans und Südkoreas, um eine gemeinsame Reaktion auf die befürchteten Raketentests Nordkoreas zu diskutieren. Mit Tokio und Seoul, den wichtigsten Demokratien der Region, müsste auch eine internationale Aktion für Osttimor abgestimmt sein. Es erleichtert aber diese Abstimmung nicht, dass beide dem Verhungern von hunderttausenden von Nordkoreanern in den vergangenen Jahren tatenlos zuschauen mussten. Sollen sie nun gegen den Willen Jakartas wagen, was sie gegen Pjöngjang nie unternehmen würden?

„Wenn es gar nicht anders geht, müssen demokratische Nachbarn zur völkerrechtlich legitimierten Nothilfe eilen dürfen“, schrieb der deutsche Philosoph Jürgen Habermas im Kosovo-Krieg. „Gerade dann erfordert aber die Unfertigkeit des weltbürgerlichen Zustands eine besondere Sensibilität.“ Man muss den auf die Vertreibung in Osttimor zögerlich reagierenden Politikern zugute halten, dass sie wohl ahnen, eben nicht über diese besondere Sensibilität gegenüber den Bürgern Osttimors zu verfügen. Georg Blume, Peking

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