Drei Wahrheiten

■ „Das Jagdgewehr“ nach Yasushi Inoue hatte Premiere im Altonaer Theater

Eine Frau, drei Geschichten. Nein, drei Frauen, eine Geschichte. Die Geschichte der Einsamkeit. Oder des Betrogenwerdens. Der subjektive Blickwinkel lässt ein und dieselbe Person, ein und dieselbe Geschichte, kaleidoskopartig zerfallen. Und bei jedem erneuten Schütteln des Kaleidoskops erscheinen die Dinge in einer anderen Gestalt. Auf diese Weise funktioniert die Erzählung Das Jagdgewehr des Japaners Yasushi Inoue von 1949. Hierin erhält der Erzähler auf sein Gedicht mit selbigem Titel ein Schreiben eines Mannes, der glaubt, er sei in diesem Gedicht beschrieben. Sein Glaube ist so fest, dass er dem Erzähler drei Briefe zukommen lässt – quasi ergänzendes Material. Diese Briefe stammen von der Ehefrau, ihrer Kusine und deren Tochter. Alle drei beziehen sich auf das 13 Jahre vermeintlich geheim gehaltene Verhältnis zwischen der Kusine und dem unbekannten Mann mit dem Jagdgewehr.

Drei Blickwinkel, ein Mann. Und drei Wahrheiten. Ein Text, der par excellence vorführt, dass Sätze wie „Das siehst du aber ganz falsch“ stets nur sehr eingeschränkt gültig sind. Auf der Foyerbühne des Altonaer Theaters hatte das Ein-Frau-Stück in der Regie von Christoph Roethel als Hamburger Erstaufführung Premiere. Monika Barth überzeugt dabei als die Eine, die den drei unterschiedlichen Frauen mit der gleichen Geschichte Gestalt und Stimmen verleiht.

Barth bewegt sich sicher auf der strengen, klassisch japanisch hergerichteten Bühne (Mikiko Anne Feldmeier). Dabei sind es Gesicht und Hände, die Bände sprechen: In der Rolle der 20-jährigen Nichte des Mannes, die im Tagebuch der kürzlich verstorbenen Mutter über das wohlgehütete Geheimnis gestolpert ist, nesteln sie mit Fassungslosigkeit, Trauer und Verzweiflung im Schoß des Kimonos.

Als Barth in die Haut der hintergangenen Ehegattin schlüpft, ist diese verhaltene Gestik wie weggewischt. Schon mit der ersten selbstsicheren Handbewegung, den boshaft blitzenden Augen und der beißenden Ironie in ihrer durchdringenden Stimme macht sie sämtliche Erwartungen zunichte, die sich angesichts der Mitleidsbekundungen der Nichte eingestellt haben. Und auch der Auftritt der Geliebten bricht mit sämtlichen konstruierten Vorstellungen: eine vom Tod gezeichnete, halb trauernde, halb weise, aber in allem völlig ruhige Frau, die erst in diesem letzten Brief ihr wahres Ich offenbart. Ihr Ich, wie sie es sieht.

Liv Heidbüchel

15., 17., 18., 21., 24. September, 8. Oktober, Foyerbühne, Altonaer Theater, jeweils 20 Uhr