: Eine Hochburg war eine Hochburg
■ Land unter für die Sozialdemokraten in Nordrhein-Westfalen: Die Kommunen werden jetzt von schwarz-gelben Gemeinderäten regiert
In Oberhausen ist die rote Welt noch in Ordnung: Eine absolute Mehrheit für die SPD im Stadtrat, und ihr Kandidat Burkhard Drescher direkt zum Oberbürgermeister gewählt. Wie es sich für's Ruhrgebiet gehört. Gehört hat. Bis zum vergangenen Sonntag. Seitdem sieht die Welt im Pott anders aus. Was vorher der Normalfall war, ist nun zur Ausnahme geworden.
Die Kommunalwahlen im bevölkerungsreichsten Land bescherte der erfolgverwöhnten nordrhein-westfälischen SPD ein Desaster. Landesweit landete sie abgeschlagen bei 33,9 Prozent der Stimmen gegenüber 50,3 Prozent für die CDU. Damit dürfte es auch für Ministerpräsident Wolfgang Clement bei den im Mai nächsten Jahres stattfindenden Landtagswahlen knapp werden.
Der scheinbar glänzende Wahlsieg der CDU ist allerdings in erster Linie eine Niederlage der SPD. Real Stimmen hinzugewinnen konnten die Christdemokraten kaum. Das Problem der SPD: Sie hat ihre Wähler schlichtweg nicht an die Urnen bekommen. Das zeigt sich an der Wahlbeteiligung: Sie sank von 81,7 Prozent 1994 auf einen historischen Tiefstand von 55 Prozent. So musste denn auch Clement eine „bittere Niederlage“ eingestehen: „Viele unserer Kandidatinnen vor Ort sind abgestraft worden für das, was die bundesweite Stimmungslage ausmacht.“ Auch Landeschef Franz Müntefering machte die „politische Großwetterlage“ für das schlechte Abschneiden seiner Partei verantwortlich und sprach von einer „Denkzettelwahl“.
Nicht nur in traditionell umkämpften Städten wie Bonn, Bielefeld, Düsseldorf oder Münster wurden die Sozialdemokraten aus den Stadtregierungen gewählt. Ob in Bochum oder Dortmund, ob in Duisburg oder Gelsenkirchen – auch in den Großstädten des Reviers haben die Genossen ihre absoluten Mehrheiten verloren. In vielen Städten gibt es nun schwarz-gelbe Mehrheiten. Während die SPD bislang in 20 der 23 kreisfreien Städte NRWs den Oberbürgermeister stellte, sind es nach dem ersten Wahlgang noch drei: Nur in Aachen, Duisburg und Oberhausen schafften die SPD-Kandidaten den Sprung über die erforderliche 50-Prozent-Marke. CDU-Bewerbern gelang dies hingegen gleich sechsmal: in Bielefeld, Essen, Krefeld, Münster, Remscheid und Solingen. Noch bitterer sieht die sozialdemokratische Bilanz bei der Wahl der Landräte in den Kreisen aus: Von den im ersten Wahlgang gewählten 22 Kandidaten stellt die SPD keinen einzigen. Auch bei den in 23 Städten und Kreisen erforderlichen Stichwahlen gehen die SPD-Kandidaten in der Mehrzahl nur noch als Außenseiter ins Rennen.
Mit den Einbrüchen in Dormund und Köln hatte die SPD aufgrund von Skandalen lokaler sozialdemokratischer Spitzenpolitiker gerechnet. Während es Dortmund immerhin noch zu einer rot-grünen Koalition reichen würde, wird die Domstadt-SPD zukünftig in der Opposition zu finden sein. CDU und FDP verfehlten dort nur um einen Sitz die absolute Mehrheit. Den könnte ihnen CDU-Oberbürgermeisterkandidat Harry Blum bringen, falls er in der Stichwahl am 26. September gegen die Grüne Anne Lütkes gewinnen sollte. Eine Mehrheit gegen CDU und FDP wäre aber auch im Falle eines Sieges von Lütkes nicht herstellbar. Denn dazu wäre die Stimme der rechtsradikalen „Republikaner“ erforderlich – und die will niemand haben.
Die überraschendste Niederlage verbuchten die Genossen in Essen. Ausgerechnet die größte Stadt im Revier wird zukünftig schwarz regiert werden. Dabei waren die Essener Sozis im Gegensatz zu ihren Dortmunder oder Kölner Genossen von größeren Skandalen verschont geblieben und stellten mit Detlev Samland einen auch über die Stadtgrenzen Essens hinaus bekannten Oberbürgermeisterkandidaten. Der 46-jährige Samland, Vorsitzender der niederrheinischen SPD und bis zu letzten Europawahl noch angesehenes Mitglied des Europaparlaments, galt als haushoher Favorit und hatte seine gesamte Karriereplanung auf die Übernahme des Oberbürgermeisterpostens konzentriert. Nun muss er umplanen. Denn direkt im ersten Anlauf erreichte sein CDU-Kontrahent Wolfgang Reiniger mit 51,7 Prozent der Stimmen die absolute Mehrheit. Reiniger weiß, wem er seinen Sieg verdankt: „Es gilt der Spruch: Gegen Schröder lässt sich im Augenblick gut eine Wahl gewinnen.“
Das Schicksal Samlands ist Bärbel Zieling erspart geblieben. Doch auch die alte und neue Duisburger Oberbürgermeisterin muss umdenken. Die SPD hat nicht nur im Rat ihre absolute Mehrheit verloren, sondern muss sich auch noch mit einer PDS-Fraktion auseinandersetzen, die mit 4,2 Prozent und 3 Sitzen ein landesweites Rekordergebnis erzielte. Zieling strebt nun eine große Koalition mit der CDU an. Die Grünen, mit denen auch eine Mehrheit möglich wäre, sind ihr zu „fundamentalistisch“. Pascal Beucker, Köln
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen