Echt authentische Kaliber in der Hose

■ Im Erzählband „SEXperimente“ fantasieren Schwule allerliebst über Lesbensex und umgekehrt

Menschen ohne Sinn fürs Höhere würden es schnöde „Onanie“ nennen. Dabei verbindet Christopher mit seinem Dildo (mittelgroß und – wichtig! – aus Silikon statt aus Gummi) eine heftige amour fou. Zusammen mit Damien, der sich auf einem Video-Bildschirm räkelt, haben die beiden sogar eine richtig intime Dreiecksbeziehung, ganz ohne störendes Echtmenschenfleisch. Christopher spricht zu uns vertraulich über sein anales Glück aus einem Sammelband von Kurzgeschichten heraus. Deren zwanzig AutorInnen werden wahrscheinlich niemals zum Bachmann-Preis nach Klagenfurt eingeladen werden. Dafür handelt es sich bei ihnen wohl durchgängig um das, was man als schillernde Persönlichkeiten bezeichnet. B. Travers Scott zum Beispiel. Er hasst Yogi-Tee-Kräutermischungen inklusive deren Trinker und wurde schon mal mit dem „Porn Press Award“ ausgezeichnet. Stephan Niederwieser ist Psychotherapeut, Verfasser von Naturheilbüchern und schreibt für die Yuppie-Kotz-Zeitungen Ambiente und Vogue. Seine Erzählung beginnt mit dem Satz „Alle Frauen nennen sie Angel. Nicht nur wegen ihres lockigen Haares, das golden schimmert und im Wind den Eindruck erweckt, Angel schwebe auf Flügeln einher.“ Nach dieser kniefallwürdigen Charakterstudie beginnt der zweite Absatz mit einem fußpilz-kitzeligen, anmutigen Stimmungsbild: „An einem Abend im Hochsommer will die Hitze nicht nachlassen. Die Luft ist dick und schwer; man könnte eine Frau anhand der Spur verfolgen, die ihr Parfüm hinterlässt.“ Wer könnte präziser jene Atmosphäre bändigen, die sonst hilflos zwischen den Seiten von Heyne-Serienheftchen dahin schwimmt.

„SEXperimente“ handelt von, ja genau, von Sex. Sex, Sex, uff, endlich ist es ausgesprochen. Und weil die AutorInnen über jede Variante, nur nicht über die ureigene schreiben dürfen, können sie hemmungslos in den Labyrinthen ihrer Fantasien lustwandeln. Das Konzept des Buches ist einfach: Schwule schreiben über Lesbensex, Lesben über Schwulensex. Die Idee wurde vor drei Jahren in Amerika geboren. Das Original „Switch Hitters“ wurde vom Berliner QUER-Verlag dieses Jahr durch zehn deutsche AutorInnen aufgestockt. Die amerikanischen Erzählungen unterscheiden sich von den deutschen durch eine spezielle Sorte von Stimulanzien: Ketchupspritzer auf schwarzen Lederjacken, Pommes, die lasziv in den Mund eingeführt werden, und Bratwurstfett. Was der McDonalds-Forschung bislang entgangen ist: Die anonyme Fast-food-Kultur ist für Amis scheinbar das Pendant zu coolen anonymen Sex unter strangers.

Fast alle Geschichten sind ein lustiges, spannendes, erhellendes Durcheinander aus echten Einfühlungsbemühungen in das Fremde, Übertragungen der eigenen Sexualität und Klischees über die andere. In den Schwulengeschichten bahnt sich permanent Pisse ihren Weg zwischen Muskelwülsten hinab auf schweres Stiefelwerk, tropf, tropf. Und Köpfe donnern im Exzess mit Karacho gegen Fliesenwände und Müllberge. Zwei vom Sport eher unbehelligte schwule Buchhändler empfehlen in irgendeiner Schwulenzeitung besonders die Geschichte von Karen-Susam Fessel. Die „hätte kein Schwuler authentischer schreiben können.“ Das liest sich dann so: „Ich habe ein ziemliches Kaliber in der Hose; es gibt nicht viele Kerle, die auch nur annähernd soviel zu bieten haben.“ Und in einer anderen Geschichte ist der unterste Hosenknopf von Barkeeper Alain offen – nein, nicht um einen großen Schwanz vorzutäuschen, sondern weil er tatsächlich groß ist. Männliche Autoren sind in der Regel dezenter in der Handhabung weiblicher Anatomie. Das Buch ist aber auch ein herrliches Fundbüro für teils abgestürzte, teils geniale, meist genial-abgestürzte Vergleiche. Finger schleichen sich „wie Einbrecher“ in diverse Körperöffnungen ein. Nägel kratzen „wie Eiswürfel“ über die Haut.

Meist tauchen die Lovers und Loverinen aus dem Nichts auf und verschwinden über Balkonbrüstungen ins Dunkel der Nacht oder auch mal mysteriemäßig durch Spiegel unter Zurücklassung eines Sprungs. Viele AutorInnen machen keinen Hehl daraus, dass es nicht um die Erzeugung von Sprachjuwelen geht, sondern um das Ausplaudern herzallerliebster Fantasien. Eine Autorin beschäftigt sich sogar mit dem Auseinanderklaffen von Fantasie und Wirklichkeit. In den Träumen von Jamie vermischen sich Blut, Beulen und Sperma aufs spannendste. Als dann die Wirklichkeit die Frechheit besitzt, den Traum nachzustellen, tut es nur noch saumäßig weh. bk

Die beiden HerausgeberInnen Sophie Hack und Rainer Falk lesen am Donnerstag, 16. September, um 20  Uhr im KWEER-Café, Theodor-Körner-Str. 1