Momper über Momper: „Nicht mehr an allem schuld“

■ SPD-Wahldebakel haben den Berliner Spitzenkandidaten von einer großen Last befreit. Mit neuem Elan will er „reiche Leute schröpfen“ und Berlin „nicht der CDU überlassen“

Es war ein schlechter Tag für die SPD, aber ein guter Tag für Walter Momper. Die Meinungsforscher mögen seit dem Thüringer Wahldebakel nicht mehr ausschließen, dass sich die Partei auch in der Hauptstadt von der PDS auf den dritten Platz verweisen lassen muss. Und selbst Fraktionschef Klaus Böger, sonst die personifizierte Staatsverantwortung, deutete vage an, eine „gedemütigte“ SPD könne womöglich den Gang in die Opposition antreten.

Den Berliner Spitzenkandidaten indes hat das Desaster am Wochenende von einer großen Last befreit. Wenn die SPD auch in Thüringen weniger als 20 Prozent der Stimmen erhält, wenn sie selbst im roten Kernland Nordrhein-Westfalen kein Land mehr sieht – dann wird niemand mehr behaupten können, Momper habe die Berliner Sozialdemokraten ins Verderben geführt. Obendrein hat die Partei einen Punkt erreicht, an dem sich die Beobachter endlich einig sind: Schlimmer kann es nicht mehr kommen.

In dieser Lage hat Momper getan, worauf die Partei so lange gewartet hat: Er ließ, als er die Wahlkämpfer am Montagabend aufs Durchhalten einschwor, seine alte Kämpfernatur wieder ein wenig aufblitzen. Zum ersten Mal seit seinem politischen Comeback hielt er eine große Rede völlig frei. „Bisher war Momper an allen schuld“, rief er erleichtert den Aktivisten zu, „jetzt soll es angeblich Schröder sein.“

Auf die gestanzten Floskeln von der Wirtschaft als „Chefsache“ verzichtete Momper an diesem Abend. Stattdessen machte er sich zum Anwalt der kleinen Leute. Die Schröder-Regierung, schärfte er den Genossen ein, habe durchaus „die reichen Leute geschröpft“. Die CDU hingegen habe bereits angekündigt, sie wolle das Programm gegen die Jugendarbeitslosigkeit abschaffen und die Rentner durch die Wiedereinführung des demografischen Faktors weit stärker schröpfen als die SPD. Und in Berlin, rechnete der Spitzenkandidat vor, habe die Union in ihrem Programm Wahlversprechen in Höhe von 13 Milliarden Mark angehäuft, rund ein Drittel des gesamten Landeshaushalts. „Wir wollen diese Stadt nicht der CDU überlassen“, appellierte Momper an die Emotionen der Genossen.

Flexibel passte der Kandidat seine Rede der neuen Linie an, die der SPD-Landesvorstand kurz zuvor beschlossen hatte. Die Partei, so die Einsicht der führenden GenossInnen, habe ihre eigenen Leistungen in der Koalition bislang nicht genügend herausgestellt. Also muss Momper – eigentlich gewählt, um den Senat von außen anzugreifen – jetzt beteuern, er sei „stolz auf die Leistungen unserer Senatoren“. Aufschlussreich ist die Reihenfolge: zuerst Gabi Schöttler, die als Arbeitssenatorin das soziale Gewissen der Partei verwaltet; dann die längst ausgeschiedene Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit und ihr Nachfolger Ehrhart Körting; dann Parteichef Peter Strieder; erst auf Platz vier Sparsenatorin Annette Fugmann-Heesing. Am Ende vergaß er nicht einmal, Schulsenatorin Ingrid Stahmer als „Geheimtipp“ zu preisen. Und damit diese Leistungen so geheim nicht bleiben, will Fraktionschef Böger gemeinsam mit den fünf Freunden aus dem Senat heute eine Bilanz der SPD-Politik in der Koaliton präsentieren. Ralph Bollmann