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Aids-Forschung auf hohem Niveau

Die Entwicklung eines Impfstoffes gegen Aids steht ganz oben auf der Prioritätenliste der kubanischen Forscher. Die ersten Testergebnisse sind viel versprechend  ■   Von Knut Henkel

Hoffnungen will Doktor Carlos Antonio Duarte Cano keinesfalls wecken. Doch der 36-jährige Wissenschaftler ist stolz darauf, dass Kuba neben den USA und Frankreich zu den wenigen Ländern gehört, die ein Aids-Serum entwickelt haben. Der Impfstoff durchläuft derzeit die erste von drei Testphasen.

„Weit über zwanzig HIV-Impfstoffe wurden seit 1987 entwickelt, und bei gerade der Häfte besteht eine vage Hoffnung, dass sie wirken könnten. Das ist bei unserem Serum nicht anders und es wäre fahrlässig irgendwelche Hoffnungen zu schüren“, erklärt der wohl bekannteste Wissenschaftler Kubas, Dr. Carlos Duarte. Der promovierte Biologe und Immunologe ist seit 1992 Leiter des wohl ehrgeizigsten kubanischen Forschungsprojekts – „Impfstoff gegen AIDS“. Vor knapp drei Jahren wurden die Wissenschaftler um Duarte fündig. Nach rund fünf Jahren intensiver Forschung präsentierten sie ihr Serum im kleinen Kreis, und 24 der Wissenschaftler, unter ihnen der Forschungsleiter, stellten sich für die ersten klinischen Tests der Phase I Ende 1996 zur Verfügung.

Erste Resultate dieser Testphase, die noch nicht abgeschlossen ist, seien viel versprechend, so Duarte. Gravierende Gegenanzeigen wurden nicht festgestellt, aber mit der Verträglichkeit des Serums hapert es noch. Einige der Probanden klagten über Schmerzen rund um die Injektionsstelle. Derzeit wird daran gearbeitet, die Verträglichkeit des Serums zu verbessern. In dieser ersten Phase erhalten die Freiwilligen vier Dosen des Präperats. Parallel dazu werden immunologische Tests vorgenommen, um festzustellen, ob Antikörper gebildet werden. Anders als beim traditionellen Verfahren wird der Impfstoff nicht auf der Basis von abgeschwächten oder abgetöteten Mikroorganismen hergestellt, wie es beispielsweise bei Typhus der Fall ist, sondern auf synthetischem Weg. Zwei Varianten, die chemische Synthese oder die Gentechnik, kommen dafür in Frage, „sodass es kein Infektionsrisiko mit den HI-Viren gibt“, so Duarte.

„Um den Impfstoff herzustellen, synthetisieren wir ausgehend von der genetischen Information des Virus ein Antigen, ein Protein des Virus, das in Bakterien produziert wird“, erklärt Duarte das kubanische Verfahren. Dieses Antigen ist ein chimäres Eiweiß, das sich aus verschiedenen Bestandteilen einer entscheidenden Oberflächenregion des Virus zusammensetzt – der so genannten V-3-Region. Diese Region, ein Anhängsel eines äußeren Proteins, dient den bisherigen Forschungsergebnissen zufolge als Brücke vom HI-Virus zur Zelle. Über diese Brücke dringt der HI-Retrovirus in die menschliche Zelle ein. „Wir haben nun die V-3-Regionen der sechs bekanntesten Virenstämme künstlich zu einem Molekül zusammengesetzt. Erfolgt nun die Immunisierung eines Probanden mit diesem Protein, dann müssten theoretisch Antikörper gegen die sechs verschiedenen V-3-Regionen gebildet werden. Die Antikörper sollten dann verhindern, dass das HI-Virus in die Zelle eindringt, es blockieren, weshalb man von neutralisierenden Antikörpern spricht. Doch den Beweis für die Wirksamkeit unseres Serums können erst die einzelnen Testphasen bringen“, sagt Duarte.

Der kubanische Ansatz ist insofern viel versprechend, weil das Serum im Gegensatz zu den anderen sich im klinischen Test befindlichen Impfstoffen auf mehrere Virenstämme reagiert und nicht nur auf ein oder zwei. Letzteres ist auch bei dem einzigen Serum, das derzeit in einem Großversuch der Phase III getestet wird, der Fall. Dabei handelt es sich um den Impfstoff Aidsvax des US-Unternehmens VaxGen, das derzeit unter der Regie der Aids-Organisation der Vereinten Nationen (UNAIDS) in Bangkok in einem Großversuch mit 2.500 jungen Drogenabhängigen getestet wird. Aidsvax reagiert auf die in Thailand auftretenden HI-Viren der Stämme B und E, nicht aber auf die Stämme A und D, die besonders häufig in Afrika anzutreffen sind. Dort leben UNAIDS zufolge rund zwei Drittel der HIV-Positiven.

Von einem Test der Phase III sind die kubanischen Forscher allerdings noch weit entfernt. Rund drei Jahre veranschlagt Figiberto Torres, Epidemiologe am Gesundheitsministerium, bis man so weit ist, einen Großtest anzusteuern, der den Beweis für die Wirksamkeit des Präparats liefern soll. Dabei wäre man ohnehin auf die Hilfe von UNAIDS angewiesen, denn ohne internationale Unterstützung ließe sich ein derartiger Test kaum realisieren, so Torres. Aber auch der Phase-III-Test bringt keine endgültige Sicherheit, denn die Probanden können wegen der Gefährlichkeit von Aids nicht mit dem Virus infiziert werden, um die gebildeten Antikörper auf ihre Wirksamkeit zu testen. Dieses Procedere, das bei anderen Viren mit Erfolg praktiziert wurde, scheidet genauso aus wie Tierversuche. „Letztere sind wenig aussagekräftig, da selbst der dem Menschen nahe stehende Schimpanse nicht an Aids erkrankt, obgleich er mit HI-Viren infiziert ist“, schildert José Esparza, UNAIDS-Experte, das Dilemma in einer seiner Publikationen. Die einzige Alternative ist somit die mehrjährige Überwachung der Testpersonen, von denen einem Teil ein Placebo verabreicht wird, um die Zuverlässigkeit des Tests zu erhöhen.

Mit ersten Ergebnissen des thailändischen Phase-III-Tests rechnen Spezialisten erst nach etwa drei Jahren. Sie dienen den Wissenschaftlern aber auch zur Sammlung wichtiger Erfahrungen, die wiederum die Grundlage für weitere Tests liefern.

Auf diesen wichtigen Aspekt setzt nicht nur der belgische UNAIDS-Direktor Peter Piot, sondern auch Carlos Duarte. Er hofft, dass auch die kubanischen Wissenschaftler von den Erfahrungen profitieren werden, wenn es einmal darum gehen sollte, einen Phase-III-Test zu organisieren. „Kontakte zur südafrikanischen Regierung und zur UN-Organisation bestehen, denn im eigenen Land können wir einen derartigen Test nicht durchführen – allein schon deshalb, weil es in Kuba glücklicherweise nicht genügend Infizierte gibt.“

Für Duarte, der sich seit 1988 mit Aids beschäftigt, sind die Phase-III-Tests unerlässlich. „Solange wir die Wirksamkeit unserer Impfstoffe nicht am Menschen überprüfen können, kommen wir nicht weiter, da weder Labor- noch Tierversuche uns sichere Erkenntnisse bringen. Es ist unumgänglich die Risikogruppen dem Prototypen auszusetzen und auszuwerten, ob sich die Freiwilligen infizieren oder nicht“, betont der Wissenschaftler, der seine Arbeit als Beitrag eines Entwicklungslandes zur Eindämmung einer gerade in Drittweltländern endemisch auftretenden Krankheit verstanden wissen will.

Dabei fährt Duarte mehrgleisig: er setzt nicht allein auf das entwickelte Serum, sondern forscht mit seinem Team auch in andere Richtungen. „Wir beschäftigen uns sowohl mit der T-Zellen-Reaktion, die recht vielversprechend ist, aber auch mit der Kombination beider Ansätze. Bei der so genannten T-Zellen-Reaktion handelt es sich um eine Immunantwort der T-Lymphozyten, die verschiedenen Experimenten zufolge die infizierten Zellen zerstören könnten, wenn die Antikörper die Wirksamkeit des Virus blockieren würden“, umreißt er die laufenden Arbeiten.

Wohler wäre es Duarte, wenn die Reaktionen des Immunsystems kalkulierbarer wären, doch gerade in diesem Bereich stoßen die Wissenschaftler weltweit immer wieder auf Fragezeichen. Und auch die Variabilität des Virus, der in zahlreichen unterschiedlichen Stämmen auftaucht, die höchstwahrscheinlich noch nicht alle entdeckt sind, erweist sich als echte Hürde. „Einen Impfstoff, der eine Antwort auf all die unterschiedlichen Varianten parat hat, das ist ein gigantisches wissenschaftliches Problem, für dessen Lösung wir viel Zeit benötigen.“

Zeit, die angesichts von 16.000 Neuinfektionen täglich, jedoch kaum zur Verfügung steht, so Peter Piot von UNAIDS. Er appelliert an die Industrienationen die Forschungsausgaben von weltweit knapp 200 Millionen Dollar signifikant zu erhöhen, um der Ausbreitung der Krankheit endlich Einhalt zu gebieten.

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