Traditionsclub für die Ewigkeit

■ Andere alte Kultureinrichtungen klagen über Mitgliederschwund und haben große Nachwuchssorgen. Doch der Bremer Kunsthalle rennen die Interessierten die Bude ein

Vereine und Parteien sind in der Krise. Der Großstadtmensch geht nicht mehr wählen, hält Mitgliedsbeiträge für rausgeschmissenes Geld und kauft nur bei Bedarf statt im Abo. Die Folge: Der Altersdurchschnitt in der organisierten Politik und Kultur steigt, und in den Mitgliedszeitungen übertrifft die Zahl der Todesmeldungen die der Neueintritte. Einige der wenigen Ausnahmen ist in Bremen die Kunsthalle. Seit Ende der Sanierung im Frühjahr 1998 geben sich Interessierte die Klinke in die Hand. In den 15 Monaten ist die Zahl der Mitglieder des Kunstvereins, der die Kunsthalle unterhält, um 1.600 auf 5.000 gestiegen. Und das bislang ohne Werbung, wie der Vorsitzer des 1823 gegründeten Vereins, Georg Abegg, betont.

Abegg führt den Zulauf vor allem auf die Sanierung des Museums zurück. Außerdem hätten Sonderausstellungen und auch die neue Abteilung Medienkunst dazu beigetragen, dass viele BesucherInnen den Beitrittsantrag ausgefüllt haben und der Altersdurchschnitt von Ende 50 um mehrere Jahre gesunken ist. Freier Eintritt in die Sammlung und zu den meisten Sonderausstellungen sowie zu Führungen sind die materiellen Gegenleistungen für den Jahresbeitrag in Höhe von 60 Mark (Ehepaare zahlen 100 Mark). Doch der ideelle Wert, dazuzugehören, spielt laut Abegg eine noch größere Rolle.

Neben anderen Institutionen hat der mit einem Jahresetat von rund fünf Millionen Mark wirtschaftende Kunstverein seine Wurzeln im (groß-) bürgerlichen Kulturleben des 19. Jahrhunderts. Während andere ähnliche Vereine – wie in Bremen die Philharmonische Gesellschaft – Überalterungs- und Existenzsorgen haben, strotzt der zeitweise als elitär verschrieene Kunstverein vor Selbstbewusstsein. Der nach mehreren Erhöhungen inzwischen mit rund drei Millionen Mark öffentlichen Mitteln pro Jahr bezuschusste Verein sucht bei Ankäufen zwar wieder Anschluss an zeitgenössische Kunst – insbesondere in den 1950ern bis 80ern klafft eine Lücke in der Sammlung, die allerdings von der Weserburg geschlossen wird. Doch abgesehen von den Ankaufsplänen setzen die Leute um Abegg und den Kunsthallenchef Wulf Herzogenrath auf ihre Traditionen. „Die Grundfeste der Galerie bleiben auf Dauer bestehen“, sagt Abegg. Denn es ist der Charme eines relativ kleinen Museums mit qualitativ hochkarätiger Sammlung, der die Kunsthalle von anderen unterscheidet. In Bremen ist ein Rundgang eine Zeitreise vom Mittelalter in die künstlerische Jetztzeit. „Wer außer Wissenschaftlern will 20 Räume voll Picasso sehen?“ fragt Abegg.

Bewusst koppeln sich die Bremer von anderen Trends ab. „Wir wollen unser Museum nicht virtuell abbilden“, sagt Kunsthallensprecher Willy Athenstädt. Es wird keine CD-ROMS oder Internetseiten mit Kunsthallenkunst geben. „Wir setzen auf das kammermusikalische Erlebnis hier im Haus.“ Neue Medien werden deshalb nur als Original, also als Kunstwerk im Museum zu sehen sein. Und genau dafür ist das Haus schon 15 Monate nach der Sanierung zu klein. „Wir wollen nicht noch einen Raum für Otto Piene oder John Cage, aber für die Fortsetzung brauchen wir bald Platz“, sagt Athenstädt und bezeichnet die Erweiterung als Projekt für die nächste Generation. Ein direkter Anbau ist aber nicht mehr möglich. Abegg könnte sich eher – wie in der Hamburger Kunsthalle – einen durch einen Tunnel verbundenen Neubau am Osterdeich vorstellen. Aber das ist keine Kam-mer-, sondern Zukunftsmusik. ck