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Bannmeile für Glimmstengel

■  Eine Hohenschönhauser Untersuchung überführt die Tabakindustrie, ihre eigene Selbstverpflichtung nicht einzuhalten: Sie macht auch vor Kindern nicht Halt

Zigarettenautomaten und -werbung vor Schulen – das dürfte eigentlich nicht sein. Eine Selbstverpflichtung der Tabakindustrie verbietet nämlich die werbewirksme Belagerung Minderjähriger. An einigen Hohenschönhauser Schulen aber sieht die Wirklichkeit anders aus. Gestern stellte die Hohenschönhauser Plan- und Leitstelle für Gesundheit eine entsprechende Studie vor. Demnach werden gerade Jugendliche und Kinder im Bezirk intensivst beworben.

Johannes Spatz von der Gesundheitsleitstelle sagte gestern: „Das gehört zur Strategie der Zigarettenindustrie.“ Entgegen der Selbstverpflichtung seien Automaten und Werbevitrinen oft in der Nähe von Schulen, Gesundheitseinrichtungen und sogar Kindertagesstätten zu finden.

Bärbel Grygier, Bürgermeisterin von Hohenschönhausen, sagte gegenüber der taz: „Die Automaten werden hauptsächlich von Kids unter sechzehn frequentiert. Die über sechzehn kaufen sich ihre Kippen eher an der Tankstelle oder im Laden.“ Grygier selbst ist mit gutem Beispiel vorangegangen: Eine Woche hat sie auf Nikotin verzichtet. Doch nach vier Tagen merkte die passionierte Raucherin, was für eine Quälerei eine Entwöhnung sein kann: „Der Einstieg ist leichter als der Ausstieg, das sollten wir Kindern und Jugendlichen ersparen.“

Das neue Hohenschönhauser Nichtraucher-Aktionsprogramm „Sucht – Genuss – Sehnsucht?“ versucht neben Entwöhnungskursen auch mit dem Schulprojekt „Klasse 2000“ auf das Problem aufmerksam zu machen. Rainer Bäth, Koordinator für Suchtprophylaxe an den Hohenschönhauser Schulen erklärt: „Wir wollen ab nächstem Frühjahr in einem 4-Jahres-Programm aus den Kindern Persönlichkeiten machen, die Nein zum Rauchen sagen.“

Die Tabakkonzerne und Wohnungsbaugesellschaften wurden inzwischen aufgefordert, ihre Zigarettenautomaten in der Nähe von Schulen abzubauen. Der Zigarettenvertreiber „Tobaccoland“ habe vor Bekanntwerden der Studie bereits zwei seiner Automaten abgebaut, sagte Johannes Spatz. Ihm ist das nicht genug. Er fordert im Umkreis von 250 Metern eine Bannmeile für Automaten um Gebäude, die vornehmlich von Kindern und Jugendlichen besucht werden. Christa Sobanski, Jugendstadträtin in Hohenschönhausen, ergänzt: „Zigarettenwerbung sollte generell verboten werden. Die Bundesregierung ist in all ihrer EU-Freudigkeit inkonsequent, wenn sie ein Totalverbot in Deutschland nicht zum Thema macht.“

Hohenschönhausen will jetzt die Vorreiterrolle für ein berlinweites Nichtraucher-Aktionsprogramm übernehmen. Wedding und Lichtenberg haben bereits angekündigt, demnächst auch in ihren Bezirken die Stellplätze der Zigarettenautomaten zu überprüfen.

Susanne Klingner

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