Vom Alibi-Amt zum Öko-Gewissen

Das Umweltbundesamt wird 25 Jahre und jeden Tag etwas wichtiger. Mit Seveso fing es an, dann kamen Asbest, Blei – und schwarze Listen für die Beamten  ■   Von Manfred Kriener

Berlin (taz) – Chromglitzernde Rundungen, Leder vom Feinsten und schwer was unter der Haube. 555 PS! Der Monster-Bugatti von VW ist die Dolly Buster der Frankfurter IAA. Da kriegen Messebesucher feuchte Hände, tiefer gelegte Glücksgefühle durchströmen die Hose. Einer der Autobosse, denen man gerne „Benzin im Blut“ attestiert, steht breitbeinig vor dem Eyecatcher und grinst in die Kamera. „Das is 'n Schlitten!“, sagt jede Pore seines VW-Gesichts. Neben ihm steht ein hagerer Spielverderber und erklärt kurz und knapp, dass die Bugatti-Motorisierung eher für einen Lastwagen geeignet wäre. VW solle sich endlich der Verantwortung stellen und vernünftige Autos bauen. Der Mann heißt Axel Friedrich und leitet die Verkehrsabteilung beim Umweltbundesamt. Typisch UBA. Immer was zu meckern.

Inzwischen meckert das Amt seit 25 Jahren. Und das gar nicht so schlecht. Das 1974 gegründete Amt feiert heute ein Vierteljahrhundert als wichtigste Umweltbehörde der Republik. Mit jedem Tag, an dem der neue „Turbokapitalismus“ den Takt klopft, wird sie ein bisschen wichtiger. Auch für die Medien: Wenn der PS-Porno auf der IAA selbst den Fernsehleuten zu viel wird, dann wissen sie, wo die Stimme der gesellschaftlichen Restvernunft zu finden ist.

Die anderen Widerspruchsinstanzen in der Umweltpolitik sind spürbar leiser geworden, da ist es fast naturgesetzlich, dass die Beamten am Bismarckplatz in Berlin an Bedeutung gewinnen. Noch in den 80er-Jahren haben radikale Kämpfer das UBA gerne als „Alibi-Amt“ beschimpft. Heute weiß jeder, wie notwendig die Behörde ist, und viele der alten Kritiker bangen darum, dass der Stellenabbau endlich ein Ende hat und das Amt in seiner derzeitigen Stärke mit 1.250 Stellen erhalten bleibt.

Der damalige Innenminister Hans-Dietrich Genscher hatte das Umweltamt 1974 als erste große europäische Regierungsumweltbehörde gegründet und mit seinem Parteifreund Heinrich von Lersner besetzt. Trotz wütender Proteste aus Moskau – der Viermächtestatus verbot die Einrichtung einer Bundesbehörde – wurde Berlin zum Amtssitz. Die Zeit war einfach reif für die Gründung, heißt es heute lapidar, und das stimmt ja. Es sollte ein besonderes Amt werden: keine Titel, keine Amtsleiter-Orgien an den Türschildern, Pullover und Jeans als geduldete Dienstkleidung für Wissenschaftler, die wissen, dass ihre Zeit gekommen ist. Kaum hatten sich die neuen Umweltbeamten auf ihren Hintern gesetzt, flogen in Norditalien die Giftkessel in die Luft. Seveso! Der große Dioxinskandal.

UBA-Mann Fritz Vahrenholt, damals für Chemie zuständig, schlich sich heimlich in die Bibliothek, um nachzulesen, was Dioxin überhaupt ist: „Wir hatten keine Ahnung.“ Je mehr Vahrenholt über die Stoffe erfuhr, die im weitgehend rechtsfreien Raum in unseren Industriekesseln dampften, desto steiler sträubten sich seine Nackenhaare. Seveso war ein Schock, der viel bewegte. In Deutschland begann die Umweltgesetzgebung, maßgeblich vom UBA angestoßen und mitgestaltet. Die engagierte Begleitung dieses Prozesses ist bis heute die große Leistung des Amtes. Unterdessen wurde Vahrenholt mit seinem Bestseller „Seveso ist überall“ zum ersten Umweltstar der Republik. Die Chemieindustrie tobte. Wenn bei gemeinsamen Sitzungen die UBA-Leute reinkamen, gingen die Chemieleute demonstrativ raus. Das waren noch Zeiten!

Die Katastrophen in Harrisburg, Bhopal, Basel (Sandoz) und Tschernobyl folgten. Bewußtsein und Gesetze wurden allmählich schärfer. Auf der Straße machte die „Landplage der Bürgerinitiativen“ (FAZ) Druck, Demonstranten rüttelten am Bauzaun von AKWs, Flughäfen und Autobahnen. Die UBA-Belegschaft wuchs in hohem Tempo. Skandale häuften sich. Nicht beim UBA, sondern in der Umwelt. Asbest, Blei, Kadmium, Formaldehyd, Dieselruß, Schwefeldioxid, Katalysator, Ozonkiller: Die Grundkonstellation war immer dieselbe. Die Industrie wehrte sich mit allen Tricks gegen den Ausstieg aus der Vergiftung. Das UBA hielt mit wissenschaftlichen Fakten dagegen und spielte dabei oft genug Doppelpass mit dem Umweltminister. Die Wissenschaftler gaben die Vorlage, die Politik rannte keuchend hinterher. In Papieren und Gutachten lieferte das Amt Munition für die öffentliche Debatte, setzte die Industrie unter Druck, verlieh den Blauen Engel an vorbildliche Produkte. Kurz: Es wurde zur Öko-Institution der Republik. Manchmal etwas zu brav, manchmal etwas zu leise, aber meistens kompetent.

Walter Wallmann, der erste Umweltminister, 1986 als Tschernobyl-Blitzableiter eingesetzt, versuchte noch massiv, die Vorlagen seiner Behörde industriefreundlich umzufrisieren. Töpfer war da schon schlauer. Der am längsten amtierende Umweltminister schmückte sich gerne mit der Arbeit seiner Berliner Unterlinge und unterstrich wortgewaltig deren Befunde. Doch am Kabinettstisch bekam er keinen Stich und geriet zum Ankündigungsminister. Mit Frau Merkel waren die Berliner Wissenschaftler etwas besser bedient, obwohl auch zu ihren Zeiten um die Formulierung so mancher Presseerklärung stundenlang gerungen wurde.

In Treue fest durchlitt das UBA die konservative Bonner Regentschaft. Zweimal gab es mehr als den üblichen Ärger: Als Amtschef von Lersner mal wieder mit seinem Lieblingsthema Tempolimit quengelte und die libidinöse Bindung an das rasende Stück Blech mit dem „Fetisch des freien Waffenkaufs in den USA“ verglich, wollte der Kanzler höchstselbst den Freiherrn feuern. Die UBA-Leute sammelten schon Solidaritätsadressen, doch der Rausschmiss blieb aus. Vor zwei Jahren kursierte dann eine schwarze Liste im Merkel-Ministerium, die heute noch gerne rumgereicht wird. Jeder, der draufsteht, ist ein wenig stolz. Das Ministerium hatte die Namen derjenigen aufgelistet, denen ein Maulkorb verhängt werden sollte, weil sie sich allzu unbotmäßig in der Öffentlichkeit geäußert hatten.

Und heute? Rot-Grün? Schon während der Koalitionsverhandlungen warnten die alten Hasen im UBA vor jeder Euphorie. Sie haben Recht behalten. Inzwischen sind viele enttäuscht, dass sich ihr neuer Chef Jürgen Trittin fast ausschließlich um Atompolitik kümmert. Andere Politikfelder, die viel erfolgsträchtiger wären, bleiben unbeackert, das Wort Chemie scheint es nicht mehr zu geben, die Klimapolitik stagniert, Verkehrspolitik ist kaum erkennbar. Auch die Themen sind schwieriger und vor allem internationaler geworden: Klimagau, Regenwald, Gentechnik, Naturschutz, Ökosteuer, Artensterben, die Sexualhormone in der Umwelt. Andere Inhalte sind konstant geblieben: bessere, schwefelfreie Kraftstoffe, Tempolimit, Benzinpreise. Als der seit vier Jahren amtierende UBA-Chef Andreas Troge (CDU) kürzlich mal wieder teureren Sprit einforderte, fanden sich die üblichen Schmähungen im Briefkasten. Die Autopolitik des UBA sei „neubolschewistische Enteignung“ schäumte ein Schreiber, ein anderer diagnostizierte: „Mutter doof, Vater doof, Kinder ballaballa.“ An solchen Tagen wissen die UBA-Leute, dass noch einiges zu tun ist in den nächsten 25 Jahren.