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Halbherzige Gewerkschaft

■ 1988 hat die ÖTV die Atomkraft zur „Übergangstechnologie“ erklärt. Mit Taten aber tut sich die Gewerkschaft noch immer schwer

Berlin (taz) – Jobs und Umweltschutz sind keine Gegensätze. Diese banale Weisheit wollten sieben Menschen bereits vor der Bundestagswahl mit Leben füllen und gründeten deshalb – deutschlandtypisch – einen Verein: „Forum NRO (Nicht-Regierungs-Organisation) und Gewerkschaften“. Sie organisieren bundesweite Arbeitstreffen, an denen Vertreter von mehreren Einzelgewerkschaften sowie Anti-AKW-Gruppen, Umweltinitiativen, die Ärzte gegen den Atomtod und der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz teilnehmen.

Zur Zeit steht vor allem die Frage nach dem Ausstieg aus der Atomkraft auf der Tagesordnung. Geplant war, vor der nächsten Energiekonsensrunde im September gemeinsam eine Position zu präsentieren und so dem Block der Verzögerer eine starke Kraft entgegenzusetzen.

Doch die Gewerkschaften marschieren nicht geschlossen. Die IG Bau plädiert für einen schnellstmöglichen Ausstieg. „Wir können uns vorstellen, dass noch in dieser Legislaturperiode ein Meiler abgeschaltet wird“, sagt der für Umwelt zuständige Holger Bartels. Im übrigen sei man für eine Restlaufzeit von zehn Jahren. „Aber wir haben es auch recht einfach mit dieser Forderung: Wir haben ja keine Kollegen in den AKWs“, so der IG-Bau-Vertreter.

Anders sieht das bei der ÖTV aus. Etwa 2.000 ihrer Mitglieder arbeiten im Bereich Atomkraftwerke. Das ist zwar eine verschwindend geringe Anzahl angesichts einer Gesamtmitgliedschaft von 1,6 Millionen Gewerkschaftern.

Aber die kleine Truppe versteht es, ihre Gewerkschaft unter Druck zu setzen. Nachdem die Umweltbeauftragte der ÖTV, Sabine Müller-Tappe, ein einziges Mal an einer Forumssitzung teilgenommen hatte, hagelte es Protest. „Die Betriebsräte hatten wohl den Eindruck: Hilfe, unsere ÖTV macht mit irgendwelchen Bürgerinitiativen Geschichten hinter unserem Rücken“, so Müller-Tappe. Seither lässt sich die ÖTV beim Forum nicht mehr blicken und verbittet sich sogar jede weitere Einladung.

Doch Müller-Tappe will das keineswegs so verstanden wissen, dass die ÖTV sich nun zur Atomkraftbefürworterin entwickelt habe. „Wir haben einen Beschluss seit 1988, der besagt, Atomkraft sei eine Übergangstechnologie“, referiert sie. Die Mehrheit der Mitglieder sei für den Ausstieg. Doch diese Position könne die ÖTV auch alleine deutlich machen und brauche dazu nicht irgendein Forum. „Im übrigen arbeiten wir laufend mit Umweltverbänden zusammen. Das Forum aber ist ein Verein“, betont sie.

Doch in welchem Zeitraum will die ÖTV aussteigen? Mitte Juli hatte ÖTV-Vorstandsmitglied Ralf Zimmermann erstmals eine Zahl genannt: 35 Kalenderjahre, so wie Wirtschaftsminister Müller es vorschlägt.

Das Forum hofft dennoch, die ÖTV für das nächste große Projekt zu gewinnen: Im kommenden Jahr soll ein „alternatives Parlament für Arbeit und Umwelt“ tagen. Daran sollen außer 100 „Abgeordneten“ von Gewerkschaften auch 200 Vertreter von Umweltverbänden und -initiativen teilnehmen, sagt die Organisatorin des Forums, Gerlinde Wiese.

Erklärtes Ziel der Veranstaltung ist nicht nur, Berührungsängste abzubauen, sondern einen konkreten Vorschlag für eine sozialverträgliche Energiewende zu erarbeiten, bei der mehr Jobs entstehen als verschwinden .

Annette Jensen

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