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Bericht geschönt, Ergebnisse mager

Zwei Jahre nach dem Suizid der Polizistin Stefanie L. debattiert der Innenausschuss am Montag über den Mobbing-Bericht, den die Polizei mit großer Verspätung vorgelegt hat. Abgeordnete von SPD und Grünen halten das Papier für wenig aussagekräftig  ■   Von Plutonia Plarre

Nachdem das leidige Thema immer verschoben worden ist, gibt es jetzt kein Pardon mehr: Am kommenden Montag müssen Innensenator Eckart Werthebach (CDU) und Polizeipräsident Hagen Saberschinsky vor dem parlamentarischen Innenausschuss Rede und Antwort zu der Frage stehen, wie es in der 28.000 Mitarbeiter zählenden Berliner Polizeibehörde um das Mobbing bestellt ist.

Auf der Tagesordnung steht eine Aussprache über den Abschlussbericht der „Mobbing-Kommission“. Sie war von Polizeiführung und Innenverwaltung eingerichet worden, nachdem die 24-jährige Polizeimeisterin Stefanie L. im Juli 1997 Selbstmord begangen hatte. Die junge Frau, die sich in ihrem Elternhaus erschossen hatte, hatte über nachhaltiges Mobbing durch ihre Kollegen geklagt. „Man hat meine Tochter systematisch fertig gemacht. Die haben sie in den Tod getrieben“, sagte damals der Vater der verstorbenen Frau.

Der Polizeipräsident stellte seinerzeit zwar vehement in Abrede, dass Stefanie L. gemobbt worden sei. Trotzdem richtete er eine Kommission ein, die Mobbing-Vorfälle in der Polizei aufspüren sollte. Der Grund: Nach dem Tod der angeblich psychisch kranken Frau hatten sich in der Presse die Berichte über Mobbing-Vorfälle gehäuft.

Der Bericht der achtköpfigen Kommission, in der zwei Frauen saßen, liegt der Innenverwaltung bereits seit einem Jahr vor. Den Parlamentariern wurde er allerdings erst vor zwei Wochen ausgehändigt. „Die Erstfassung musste erst noch geschönt werden“, sagt der bündnisgrüne Abgeordnete Norbert Schellberg. Das Ergebnis des Berichtes, der der taz vorliegt, ist mager: Der Kommission wurden 35 Fälle von Mobbing-Vorwürfen aus den Reihen der Polizei vorgetragen, aber nur zwei Fälle wurden als Mobbing anerkannt. Zwei weitere Fälle, darunter der von Stefanie L., wurden von der Kommission überhaupt nicht behandelt. Offizielle Begründung: Die Staatsanwaltschaft ermittele noch. In elf Fällen stellte die Kommission eine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz fest. In „mindestens zwei Fällen“ handele es sich allerdings um eine „falsche Anschuldigung“.

Dass Werthebach dem Parlament einen solch dünnen Bericht vorlege, sei „unverfroren“, sagt die SPD-Abgeordnete Heidemarie Fischer. „Das kann doch nicht das Ergebnis sein, auf das wir zwei Jahre gewartet haben.“ Fischer ist sicher, dass es in den vergangenen Jahren wesentlich mehr Mobbing-Fälle bei der Polizei gegeben hat. „Die Frauen werden doch schon gemobbt, wenn sie keinen Spätdienst machen wollen, weil dann der Kindergarten zu ist“, weiß sie. Dass die ihr bekannten Fälle in dem Bericht überhaupt nicht auftauchen, wundert sie allerdings nicht. An die mit hochrangigen Polizeivertretern und einer Mitarbeiterin der Innenverwaltung besetzte Kommission traue sich „keiner ran“. Auch der Grüne Schellberg ist davon überzeugt, dass der Bericht die wahren Verhältnisse innerhalb der Berliner Polizei überhaupt nicht widerspiegelt.

Auch aus den Reihen der 14 Frauenvertreterinnen bei der Polizei ist intern Kritik an der Zusammensetzung der Kommission geäußert worden. Gegenüber der Öffentlichkeit hat die Polizeiführung den Damen allerdings einen Maulkorb umgehängt. Aus dem Mobbing-Bericht geht jedoch hervor, dass sich die Frauenvertreterinnen in der Kommission „angesichts frauenspezifischer Sachverhalte nicht ausreichend vertreten“ fühlten.

Dass eine mit Mitarbeitern von Innenverwaltung und Polizei besetzte Mobbing-Kommission nichts bringen werde, hatten die Abgeordneten von SPD, Grünen und PDS bereits im Sommer 1997 vorausgesagt, als das Gremium eingerichtet wurde. Die SPD plädierte für eine unabhängige Kommission, die für den gesamten öffentlichen Dienst zuständig sein sollte. Die Grünen forderten zum wiederholten Mal einen unabhängigen Polizeibeauftragten, und die PDS verlangte einen unabbhängigen Ausschuss.

Laut Abschlussbericht hat sich die Kommission, die 20-mal getagt hat, ihr Urteil „soweit wie möglich“ aus schriftlichen Unterlagen gebildet. Nur wenn dies nicht möglich war, sprach sie direkt mit den Betroffenen. Von den 33 behandelten „Sachverhalten“ waren in 19 Fällen Frauen betroffen.

Mit einer Ausnahme richteten sich die Vorwürfe gegen Vorgesetzte. Die beschriebenen Vorfälle liegen zum Teil schon viele Jahre zurück und waren in der Behörde zum Teil bereits bekannt. Oft waren bereits Disziplinarverfahren eingeleitet oder Versetzungen vorgenommen worden.

Dem Bericht ist zu entnehmen, dass die Polizeidienststellen in einem Fernschreiben des Polizeipräsidenten aufgefordert worden sind, „bekannte Fälle, die im Zusammenhang mit Mobbing gebracht werden können, der Kommission umgehend zugänglich zu machen“.

Der Vorsitzende der Polizeiselbsthilfegruppe „ProPolice“, Dietmar Hübner, hält es jedoch für ganz verkehrt, bei einem derart sensiblen Thema den Weg über die Dienststellenleiter zu beschreiten. Nach einer Untersuchung des Diplompsychologen und Mobbing-Experten Heinz Leymann seien an 70 bis 80 Prozent aller Mobbing-Fälle Vorgesetzte beteiligt, weiß Hübner.

Die Berliner Kriminalbeamtin Cordula Albrecht, Mitglied im European Network of Policewomen, kennt aus ihrer Erfahrung als Seminarleiterin für Mobbing und sexuellen Missbrauch ein konkretes Bespiel: Eine junge Polizistin sitzt mit einem älteren Kollegen in einem Funkwagen. Er fährt zu einem abgelegenen Ort, knöpft sich die Hose auf und fordert sie auf, ihn zu befriedigen. „Das ist in mehreren Bundesländern passiert“, sagt Albrecht.

Das tatsächliche Ausmaß von Mobbing und sexueller Belästigung bei der Polizei lässt sich nur erahnen. Der Kommission gegenüber haben die Frauenvertreterinnen, die gegenüber der Presse zum Schweigen verdonnert sind, auf Nachfrage zu Protokoll gegeben: „Sexuelle Belästigung“ sei „ein wichtiger Punkt“ der Arbeit der Frauenvertreterinnen.

In der Behörde „teilweise noch erhebliche Verhaltensdefizite im angemessenen und der Gleichberechtigung entsprechenden Verhalten vorhanden“. Setzten sich die Frauen dagegen zur Wehr, kämen sie „bevorzugt in Konfliktsituationen, die sich letztendlich auch als Mobbing-Handlungen verfestigen könnten“.

Zu ihrer Entlastung bringt die Polizei gern vor, die Behörde sei ein Spiegelbild der Gesellschaft. Norbert Schellberg sieht das anders: „Die strenge Hierarchie in der Polizei und der Korpsgeist begünstigen Mobbing geradezu.“ Es habe sich immer wieder gezeigt, dass Beamte, die gegen den Korpsgeist verstießen, „rausgemobbt“ würden.

„Wer von der Gruppennorm abweicht, wird angreifbar“, bestätigt der Vorsitzende von ProPolice, Dietmar Hübner. Das gelte nicht nur für Frauen, sondern auch für Männer. „Wer statt auf Einheitlichkeit auf Vielfältigkeit setzt, eckt an.“ Gelöst werden können diese Probleme nach Ansicht Hübners nur dadurch, dass sich die Polizei endlich öffne.

Aber die Öffentlichkeit fürchten Polizeipräsident Saberschinsky und Innensenator Werthebach wie der Teufel das Weihwasser. Darum ist die Reaktion auf den Mobbing-Bericht auch wenig verwunderlich. Innenstaatssekretär Kuno Böse (CDU) schließt sich dem Vorschlag der Kommission an, das Gremium „als Konflikt-Kommission“ weiter bestehen zu lassen.

Die Polizei verfüge damit über ein „ausreichendes Instrumentarium zur Konfliktlösung“, zumal sich auch der sozialmedizinische und psycholgogische Dienst sowie die Frauenvertreterinnen, Personalräte und Seelsorger mit dem Thema Mobbing befassten, meint Böse.

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