: Headbanging in Zeitlupe
■ Held des Doom-Metal: Scott Weinreich und seine neue Band Spirit Caravan im Knaack
Manche Menschen sind einfach nicht klein zu kriegen. Nicht mit Alkohol, nicht mit Drogen und nicht einmal mit Rock 'n' Roll. Scott Weinreich gehört zu der Sorte. Seit mehr als zwei Jahrzehnten ist er jetzt im Rockgeschäft, Abteilung ganz schwerer Stoff, und feiert noch immer tapfer jeden Tag, als sei gerade Silvester 1973.
Wino, wie ihn alle Welt nennt, ist ein Dinosaurier. Die Knochen der meisten seiner Zeitgenossen sind längst schon im Museum, aber er reanimiert die alten Ideale. Erzählt in Interviews immer wieder gern vom letzten Entzug und ist sogar vom Haarausfall verschont geblieben. Selbst Ian MacKaye, Kopf von Fugazi und Straight-Edge-Ikone, bezeichnet ihn bewundernd als „Legende“.
Das ist zwar ungefähr so sinnig, als würde Manfred Nerlinger als Vorbild Mahatma Ghandi angeben, aber Fugazi-Bassist Joe Lally hat extra ein Label gegründet, nur um Winos aktuelle Band Spirit Caravan herauszubringen. Seinen Ruf begründete Gitarrist und Sänger Weinrich in Washington D.C. mit The Obsessed, einer Band, deren Demos zwar lange nicht so ambitioniert waren wie ihr Willen zur Party, aber trotzdem in einschlägigen Kreisen einiges an Flurschaden anrichteten. So behaupten die Melvins heute noch, dass ihr eigenes zähflüssiges Geknarze nicht nur von Kiss, sondern vor allem von The Obsessed inspiriert wurde. Weil sich der Erfolg aber oft nur auf Kollegenlob beschränkte, löste Wino The Obsessed auf und stieg bei St. Vitus ein, die fortan die Erforschung der Langsamkeit zum stilistischen Prinzip erhoben. Tonnenschwere Gitarrenriffs wurden immer träger, bis aus ganz normalem Bluesrock so eine Art metaphysisches Schweben in Metall geworden war. Jeder, der etwas auf sich hielt, ließ sich die Haare wachsen, wenn er nicht genug Geld hatte, um sich welche anschweißen zu lassen. Denn ohne Headbanging in Zeitlupe machte das nur den halben Spaß. Aber wie das so ist mit der Extremforschung, sie stößt doch bald auf natürliche Grenzen. Irgendwann ging es halt nicht mehr langsamer, und St. Vitus wurden zu einer stinknormalen (und eher durchschnittlichen) Rockband. Da war die Saat allerdings schon gelegt: Im Metal wurde das neue Spielzeug Doom entwickelt, die Biker entstaubten ihre Maschinen und die alten Steppenwolf-Platten, und ein paar Jungs in Palm Springs erfanden den Desert Rock.
Seitdem gilt Weinrich als so etwas wie der Stiftungsvater des Stoner Rock. Von jemandem mit einer solch altehrwürdigen Reputation kann man natürlich keine musikalische Entwicklung erwarten. Mit Spirit Caravan veranstaltet Wino eine Reise in die Steinzeit. Das Trio hat sein Debüt im Wohnzimmer des Bassisten und tatsächlich in einer leibhaftigen Garage aufgenommen.
Nun hören sie sich an wie Free oder Mountain, aber wie die echten und nicht etwa wie eine Band, die heutzutage versucht, wie Free oder Mountain zu klingen. Kein moderner Schnickschnack, keine Computer. Gitarre, Bass, Schlagzeug und ein Gesangsmikro, mehr hatten wir in den 70ern auch nicht. Ein Bluesriff muss reichen, und das Gitarrensolo dauert von hier bis zum nächsten Joint. Wenn man die Augen fest schließt, kann man tatsächlich die Röhrenverstärker qualmen sehen. Echt wahr.
Thomas Winkler ‚/B‘ Sonntag, 21 Uhr, Knaack, Greifswalder Straße 224
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