Entkernte Botschaften

■ Sex im Ring mit Franz Richard Wagner: Christoph Schlingensief geht in die Provinz

„Wir werden versuchen, den Menschen freundlich gegenüberzutreten“, sagte gestern vormittag Christoph Schlingensief vor der Volksbühne. Das bunt gekleidete Ensemble flankierte den gescheiterten Politiker mit ernsten Gesichtern; die Plakate mit der Aufschrift „Wagner lebt! – Sex im Ring“ flatterten im Wind. Der noch im Scheitern begriffene Schauspieler Gerhard Schröder referierte über die Sachsenwahl, entkernte Botschaften, Berliner Dekadenz und schloss besorgt: „... das kann nicht gut gehen“.

Ein Volvo mit dem Kennzeichen MH – DX 439, verplüschter Kühlerhaube und Lautsprechern auf dem Dach fuhr vor. Die Startschusspistole funktionierte nicht, aber das rote Band wurde ordnungsgemäß zum „Walkürenritt“ gekappt. Fotografen fotografierten Schlingensiefs Oberbekleidung („Durch Kampf zum Sieg“ unterm Eisernen Kreuz von 1914; Benjamin von Stuckrad-Barre (schöne Schuhe!) sagte, er wolle nie wieder Kommentare schreiben.

Dann faltete der metonymisch vom Staatsanwalt Kuhlbrodt zum Dramaturgen verschobene Carl Hermann seine „Texte & Materialien“-Ausgabe des Nibelungenliedes sowie die Wagnersche B.Z. zusammen. Das nach wie vor sachlich-ernste, gleichwohl Sekt trinkende Ensemble verschwand in Volvo und Tourenbus, und Christoph wünschte zum Abschied: „Einen schönen Tach noch und viel Spaß in der Hauptstadt!“ Sprach- und ratlos standen die Zurückgebliebenen.

Freuen dürfen sich dagegen die Menschen in der Provinz (Stuttgart, Weimar, Hamburg usw.): Das freitägliche Ereignis eröffnete die mehrwöchige Tournee „Deutschlandsuche '99“. Christoph und Crew werden deutsche Landstraßen mit Richard Wagner beschallen („publikumsnahe Adventurestrategie des postheroischen Managements“), auf Dorfplätzen zukünftige Helden suchen und finden („Playbackmorde, Playbacksex, Playbackgefühle“) und zum Abschluss eine terroristische Vereinigung gründen („prähistorische, postheroische, neofaschistische Elemente“). Doch die Provinz ist nur ein Zwischenspiel – im November folgt ein Ausflug nach New York, und zur Jahrtausendwende wird das Projekt Schlingensief namibische Sonnenuntergänge gucken.

Flucht vor Deutschland, Fluch der Kunst? Das „Kapital der Zukunft“ hat die Deutsche Bank schließlich schon verscherzt – und die Volksbühne den Kosovo-Konflikt ungespalten überstanden. Fett sonnt sich das Theater im Herbst der Berliner Republik. Christoph „Parzival“ Schlingensief flieht natürlich nur die Mittel, nicht den Zweck. Eva Behrendt