Babylon on Air

Sie machen ein Radio in 18 Sprachen: Vor fünf Jahren ging die SFB-Welle „MultiKulti“ auf Sendung    ■ Von Gereon Asmuth

Die arabischsprachige Nachrichtenredaktion muss innerhalb einer halben Sendestunde 22 Nationen abdecken

Die Nachrichten sind gesendet und das rote Lämpchen über dem Studiofenster leuchtet wieder. „90 Grad in Mailand“, verhaspelt sich Christian Georgiadis bei der Verkündigung des „Weltwetters“ und legt eine entsprechend heiße Scheibe auf – brasilianische Rhythmen. „Alles Portugiesische, ob aus Brasilien oder von den Kapverden“, umreißt der gebürtige Hannoveraner mit griechischem Vater sein Spezialgebiet. Auch bei afrikanischer Musik kennt sich der 30-jährige Moderator des Berliner Senders SFB 4 MultiKulti aus. Nur bei Asien könne er „nichts vorzeigen“.

„Weltmusik ist unsere Klammer“, beschreibt Wellenchef Thomas Voß das Konzept des kleinen Senders, der heute vor fünf Jahren erstmals on Air ging. Rap aus dem Senegal, Flamenco oder Merengue, alle Stile des Globus haben hier ihren Platz, nur den überall sonst vorherrschenden amerikanisch-europäischen Poprock spart man sich hier.

In das Musikkonzept eingebettet sind Sendungen in 18 Sprachen: Ein „Tagesbegleitungsprogramm“ in Deutsch und abends in Türkisch, Kurdisch, Albanisch, Slowenisch oder Vietnamesisch. 1994 war das Konzept von MultiKulti einzigartig in Deutschland.

Inzwischen hat der Sender nicht nur zahlreiche Preise bekommen, sondern auch einen Mitstreiter gefunden. Der WDR sendet seit einem guten Jahr sein „Funkhaus Europa“, mit MultiKulti tauschen die Kölner nun auch Teile des Programms aus. Und damit das Programm bundesweit mehr Hörer findet, werden seit kurzem sämtliche Sendungen im Internet unter www.multikulti.de für 14 Tage gespeichert.

In der Vormittagssendung „Meridian 13“ steht heute Klezmer auf dem Programm. Die vierköpfige Band „Di Grine Kuzine“ hat sich in das Studio zu Christian Georgiadis gezwängt und spielt live zwei Stücke ihrer neuen CD. Zwischendurch gibt es ein ausführliches Interview über die Hintergründe der Band, die Klezmer mit Balkan und Brass-Musik verbindet.

Für „Di Grine Kuzine“ ist es bereits der dritte Auftritt bei MultiKulti. „Wir pflegen die Zusammenarbeit mit den lokalen Bands“, erklärt Redakteur Andreas Vick. Der Sender profitiert von der Vielfalt auf dem Berliner Musikmarkt, die Bands nutzen die Welle als öffentliches Forum. Bei den meisten Sendern würde allenfalls die neueste Single abgespielt.

Auch Jochen Lamprecht kann sich für sein „Reisefieber“ viel Zeit nehmen: wochentags etwa vier Minuten, am Samstag gleich zwei Stunden. Fast zu viel, lacht Lamprecht, der selber praktisch nicht mehr zum Reisen kommt – im Gegensatz zu seinen Hörern, wenn sie sein nicht immer leichtes Reisequiz korrekt beantwortet haben. „Man muss mindestens in ein Buch gucken“, verrät Lamprecht, „oder eben seinen ausländischen Nachbarn fragen.“ Diese Woche soll man unter anderem wissen, dass „das Rauschen“ auf Tschechisch „Šumava“ heißt. Dafür gibt es dann eine Reise ins deutsch-tschechische Grenzgebiet, in den Bayerischen Wald. „Unsere Hörer freuen sich, wenn wir Reisen innerhalb Deutschlands verlosen“, erklärt Lamprecht. Denn viele haben keinen deutschen Pass und bekommen bei exotischeren Zielen Visaprobleme.

Auch das deutschsprachige Programm wird keineswegs nur von Deutschen verfolgt. „Gerade Türken schalten sich schon mittags ein“, verweist Wellenchef Voß auf eine Untersuchung des Meinungsforschungsinstituts Forsa. Und die hören dann durch bis 17 Uhr, wenn die einstündige Sendung in Türkisch folgt.

„Wir machen ein Programm für Berliner Türken“, erklärt Cem Dalaman, Leiter der türkischsprachigen Redaktion. Wer mit Herz und Kopf noch in der Türkei sei, brauche – „so hart das klingt“ – nicht zuzuhören. Schon seit 25 Jahren setzt seine Redaktion beim SFB auf Integration. „Anfang haben wir eher Sozialberatung für die damals neuen Gastarbeiter gemacht“, berichtet Dalaman, heute versuche man ein volles Tagesprogramm, „eben alles, was in Berlin passiert“, in eine Stunde zu quetschen. Der Unterschied zu üblichen Informationssendungen liegt haupsächlich in der Sprache. Deutsche Töne gibt es nur zu hören, wenn Zitate des Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen oder auch von in Berlin aufgewachsenen türkischstämmigen Jugendlichen ins Programm genommen werden.

Weltmusik bestimmt das Programm. Nur der übliche angloamerikanische Pop wird aus Prinzip nicht gespielt

Wie die türkische arbeitet auch die arabischsprachige Redaktion weitgehend unabhängig von der Gesamtredaktion. „Wir bringen aber nicht nur Nachrichten aus Berlin, sondern aus der ganzen Welt“, sagt Haroun Sweis, Leiter des arabischsprachigen Programms. Zur Zeit läuft wöchentlich eine Serie, die den aktuellen Jahresbericht von amnesty international vorstellt. Diese Woche war der Irak dran, in der kommenden Woche wird Ägypten abgehandelt. „Wir müssen 22 Nationen abdecken“, erklärt Sweis. Viermal wöchentlich hat er für das einzige arabischsprachige Programm in Deutschland eine halbe Stunde.

Wellenchef Voß versteht, dass die Fremdsprachenredakteure sich mehr Sendezeit wünschen. Aber wichtiger findet Voß, das Programm um portugiesische oder rumänische Sendungen zu ergänzen. Aber selbst dafür ist weder Zeit noch Geld vorhanden. Über ganze 4,8 Millionen Mark verfügt der Sender pro Jahr und finanziert damit 191 Mitarbeiter aus 32 Nationen. Immerhin kann sich Voß glücklich schätzen, dass der Programm-Etat inzwischen finanziell abgesichert ist. Nach dem Ende einer dreijährigen Probephase hatten SFB und Landesmedienanstalt monatelang um die Weiterfinanzierung des Projekts gestritten.

Im Vorraum des Sendestudios gibt es einen Tumult. Star der heutigen Meridian-Sendung ist das türkische Teenie-Idol Tarkan, der mit seinen Popsongs weltweit in die Charts gelangte. Während Reiseredakteur Lamprecht mit den zahlreich herbeigeeilten Mitarbeiterinnen um die Wette feixt, ob der androgyne Star mit der „guten Figur“ eher seinen männlichen oder den weiblichen Fans zugeneigt sei, bemüht sich ein Mitarbeiter der türkischen Redaktion um ein zusätzliches Interview für seine Hörer. Doch ohne vorherige Absprache, darauf besteht Tarkans Aufpasserin von der Plattenfirma, sei das nicht möglich. Und überhaupt solle der Redakteur mit Tarkan nicht Türkisch reden, damit auch sie dem Gespräch folgen könne. So parliert der in Deutschland geborene türkische Sänger wenig später im Studio mit dem griechisch-deutschen Moderator auf Englisch. Für die türkischsprachige Ausgabe bleibt nur ein kurzer Gruß des Stars an die Hörer.

14 Tage im Internet: www.multikulti.de