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Milizen drohen mit Guerillakrieg

■ Der multinationale Einsatz in Osttimor ist auch politisch riskant. Größter Unsicherheitsfaktor ist die indonesische Innenpolitik

Solange indonesische Soldaten in Osttimor sind, wird die Friedenstruppe Probleme mit den Milizen haben

Berlin (taz) – Zwar haben Indonesiens Regierung und Militärs versprochen, mit der von Australien geführten Schutztruppe in Osttimor (Interfret) zu kooperieren. Doch schon kurz nach dieser bereits am Mittwoch gemachten Zusage weigerte sich Indonesiens Militärführung, Sicherheitsgarantien für Hilfsflüge für die Flüchtlinge zu geben. Es bleibt unklar, wie die auf 15.000 Mann geschätzten indonesischen Soldaten in Osttimor und die etwa 10.000 Polizisten mit der Interfret-Truppe koexistieren werden, obwohl gestern der Abzug erster indonesischer Militärs gemeldet wurde.

Die Signale aus Indonesien sind widersprüchlich. Außenminister Ali Alatas sagte am Mittwoch, Jakartas Truppen würden „beratend“ tätig sein und „Verbindungsaufgaben“ übernehmen. Sie würden sich nicht an Kampfeinsätzen beteiligen, aber auch nicht in Kasernen bleiben. Tags darauf verkündete Osttimors Militärchef Kiki Syahnakri, seine Soldaten würden nach dem Eintreffen der Schutztruppe aus Osttimor abziehen.

Schon die UN-Resolution 1264, die den Einsatz der Friedenstruppe legitimiert, ist unklar formuliert. In Absatz 3 heißt es, die erste Aufgabe der Truppe sei es, „Frieden und Sicherheit in Osttimor wieder herzustellen“. Paragraph 5 dagegen betont „Indonesiens fortgesetzte Verantwortung zur Aufrechterhaltung von Frieden und Sicherheit in Osttimor“.

Wenn Indonesiens Armee nicht kooperiert, werde es eine „harte Operation“, so der Oberbefehlshaber der australischen Streitkräfte, Chris Barrie. „Solange die indonesische Armee in Osttimor bleibt, wird es das Problem der Milizen geben und damit Probleme für die multinationale Truppe“, sagt Carmel Budiardjo von der Menschenrechtsorganisation Tapol. „Die Milizen und das Militär sind eng miteinander verflochten.“

Gestern verschärften Anführer der auf bis zu 20.000 Mann geschätzten Milizen ihre Drohungen gegen die Friedenstruppe, der sie mit einem Guerillakrieg drohen. „Wir sind bereit zu töten und getötet zu werden. Wenn nötig, gehen wir nach Australien und führen einen Guerillakrieg gegen die Weißen dort“, drohte Domingo de Deus im Namen der Milizdachorganisation PPI im westtimoresischen Atambua. Die Drohungen mögen übertrieben sein. Doch bisher haben die Milizen genau den Terror ausgeübt, den sie zuvor angedroht hatten. Und Osttimors Berge und Wälder sind für einen Guerillakrieg bestens geeignet, wie die Unabhängigkeitskämpfer 24 Jahre lang gezeigt haben.

Mike O'Connor von der halbstaatlichen Australian Defence Association rechnet fest mit Gewalttätigkeiten der Milizen. Gefechte zwischen der UN-Truppe und den Milizen seien „sehr wahrscheinlich“, auch wenn diese wohl nicht lange dauern würden. Die Milizen „werden tun, was sie immer tun: herausfinden, wie weit sie gehen können“. Zwar hat die Friedenstruppe das Mandat, auch mit Waffengewalt gegen die Milizen vorzugehen, doch ist sie nicht ermächtigt, diese zu entwaffnen.

In Indonesien wächst schon jetzt die antiaustralische Stimmung. Es gebe weit verbreitete Vorbehalte dagegen, dass Australien die Friedenstruppe führt, schrieb die Zeitung Kompas. Und der Vorsitzende der Regierungspartei Golkar, Akbar Tandjung, meinte: „Wir wissen, dass Australien nicht neutral ist und seine eigenen Absichten in Osttimor verfolgt.“ Die Kündigung des indonesisch-australischen Militärpakts durch Jakarta am Donnerstag zeigt, dass Indonesiens Regierung versucht, Australien zum Sündenbock zu machen. Auch die UNO wird nicht als neutral gesehen.

In Jakarta und Surabaya gab es erste Demonstrationen gegen die Schutztruppe. Der australische Bergbaukonzern BHP evakuierte am Donnerstag 50 Mitarbeiter und Angehörige aus der Stadt Balikpapan in Borneo, nachdem es dort antiaustralische Demonstrationen gab. Bei einer Demonstration vor dem UN-Gebäude in Jakarta war auf einem Plakat zu lesen: „Australische Soldaten. Willkommen in Osttimor. Gräber sind für euch bereitet. Fahrt zur Hölle.“

Die Regierung in Canberra stimmt die Bevölkerung schon auf Tote unter den Friedenstruppen ein. „Die australische Bevölkerung muss sich auf alle möglichen Folgen eines solchen Einsatzes einstellen“, so Premierminister John Howard. Natürlich gebe es das Risiko, dass Soldaten zu Tode kämen.

Indonesiens Generäle könnten versuchen, durch Konfrontationen die nationalistische Stimmung zu schüren, um damit ihre Position im Machtkampf um die Präsidentschaftswahl im November zu stärken. Sollte die Schutztruppe etwa in Reaktion auf Provokationen proindonesische Kräfte töten oder sollten diese Opfer von Racheakten werden, könnte es eine kaum zu kontrollierende Welle der Empörung in Indonesien geben. Die Risiken für Interfret liegen vor allem in der labilen innenpolitischen Lage Indonesiens. Diese kann von der Friedenstruppe kaum positiv beeinflusst werden. Howards gestrige Warnung an das indonesische Militär, im Falle der Nichtkooperation müsse es mit einer „Intervention und Vergeltung auf wesentlich höherem Niveau“ rechnen, dürfte die Gemüter allerdings kaum beruhigen. Sven Hansen

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