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Auf der Überholspur ins Schleudern geraten

■ Goodyear-Konzern droht mit dem Aus des profitablen Reifenwerks Pneumant in Fürstenwalde. Durch alten Treuhand-Vertrag sind die Energiekosten zu hoch

Die Treuhand hat kapitale Fehler gemacht. Ihre Nachfolgerin BvS will jetzt mit der Sache nichts mehr zu tun haben

Fürstenwalde (taz) – Früher hatte ihn jeder Wartburg und jeder Trabant: Die gesamte DDR fuhr auf Reifen von Pneumant. Und nach der Wende verwies die Treuhandanstalt lange auf das Reifenwerk im brandenburgischen Fürstenwalde als ein Paradebeispiel einer gelungenen Privatisierung.

Zweistellige Wachstumsraten pro Jahr, mehrere hundert Neueinstellungen und eine Auslastung rund um die Uhr bezeugten eines der seltenen Brandenburger Wirtschaftswunder. Allein 1998 stieg der Umsatz um 55 Prozent und betrug 307 Millionen Mark. Pneumant ist inzwischen ostdeutscher Marktführer. Doch jetzt droht dem erfolgreichen Standort mit 550 Jobs die Luft auszugehen.

Der Grund: Die Energiepreise sind dreimal höher als an vergleichbaren Produktionsorten. Eine Treuhandsünde der Vergangenheit droht einer ganzen Region nun auf die Füsse zu fallen. Denn 1993 privatisierte die Treuhand das damals noch kränkelnde Unternehmen nur unter einer Bedingung: Die Stadt Fürstenwalde musste ein neues Dampfkraftwerk für die Fabrik bauen. Im Gegenzug verpflichtete sich Pneumant zu einer Abnahmegarantie von 70 Millionen Kilowattstunden pro Jahr bis 2003.

Doch das unter dem Druck der Treuhand errichtete Kraftwerk entpuppte sich in der Folge als viel zu groß. Nachdem die zum japanischen Sumitomo-Konzern gehörende Firma Dunlop Pneumant übernommen hatte, wurde modernisiert, was das Zeug hielt. Der Energieverbrauch ist mittlerweile um die Hälfte gesunken.

Und so zahlt Dunlop seit 1997 einfach nicht mehr den vollen Preis: Fast sechs Millionen Mark schuldet man inzwischen dem städtischen Wärmeversorger. Seitdem Sumitomo vor zwei Wochen mit dem Giganten Goodyear zusammengegangen ist, hat sich die Lage weiter zugespitzt. Der Weltmarktführer in Sachen Reifen zieht die Daumenschrauben an: sofortiger Investitionsstopp, Senkung der Produktion um zehn Prozent und am Ende des Jahres keine Verlängerung von zahlreichen Arbeitsverträgen, wenn nicht die Energiekosten radikal gesenkt werden.

Die Stadt Fürstenwalde pocht derweil auf ihren Vertrag. „Wir haben schliesslich das Kraftwerk nur für Pneumant gebaut“, sagt Helmut Koncanek, Geschäftsführer der Wärmeversorgungs GmbH. Andere Kunden sind nicht in Sicht.

Dass sie kapitale Fehler gemacht hat, gibt die Treuhand öffentlich nicht zu. Ihre Nachfolgerin BvS will jetzt mit der ganzen Sache nichts mehr zu tun haben. Doch die Enegie-Schulden der Fabrik werden weiter wachsen, solange das Problem nicht an der Wurzel angegangen wird. Das Heizwerk müsste aufwendig zurückgebaut werden. Doch Kreditverpflichtungen und Umrüstungskosten steigen dabei schnell in den zweistelligen Millionenbereich – eine Belastung, die die kleine Stadt Fürstenwalde nicht allein tragen kann.

Das hält Brandenburgs scheidenden Wirtschaftsminister Burkhard Dreher (SPD) nicht davon ab, die Stadt zu beschimpfen „mit einem unwürdigen Eiertanz das einzureißen, was wir mit einem investorenfreundlichen Klima in Brandenburg mühevoll aufgebaut haben“. Finanziell in die Bresche springen will das Ministerium aber auch nicht. Es sieht sich einzig und allein als Vermittler zwischen den Streitparteien.

Fürstenwaldes Bürgermeister Manfred Reim fordert dagegen: Das Land müsse mit ins Boot und auch Dunlop müsse sich mit einigen zusätzlichen Millionen an den Kosten des Kraftwerks beteiligen. Auch die BvS solle sich finanziell engagieren, so Reim.

Goodyear droht jetzt, Fakten zu schaffen. Am 22. September soll der Pneumant-Geschäftsführer wieder zur Konzernzentrale nach Brüssel kommen. Dann, so Goodyear, müsse das Energieproblem gelöst sein. Henno Osberghaus

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