: Behangen mit Bazookas und Gewehren
Osttimors proindonesische Milizen haben sich nach Westtimor zurückgezogen und beherrschen dort mit Gewalt die Lager mit osttimoresischen Flüchtlingen. Das UNHCR ist machtlos ■ Aus Kupang (Westtimor) Jutta Lietsch
Willkommen in Kupang, der kleinen Provinzhauptstadt des westlichen Teils von Timor. Hier wuchern wilde Gerüchte und schräge Geschichten. In den Hotels des Küstenortes, der sich weitläufig über karge Felsenhügel zieht, wimmelt es von Geheimpolizisten, die sich als Journalisten oder Beamte ausgeben. „Geschäftsleute“, die noch vor wenigen Wochen in Milizenuniform durch Dili in Osttimor streiften, bieten sich hier als Übersetzer oder Taxifahrer an.
Auf dem sonst so verschlafenen Flughafen herrscht ungewöhnlich viel Betrieb. Bis zu sechsmal täglich landen Herkules-Transportflugzeuge mit Flüchtlingsfamilien. 200.000 Menschen, sagt Gouverneur Piet A.Tallo, sind inzwischen aus Osttimor nach Westtimor und auf die kleineren Inseln der Umgebung geflüchtet. Das ist fast ein Viertel der Bevölkerung. Täglich treffen hunderte mehr ein – in Flugzeugen, auf Booten und Lastwagen. Viele sind Angehörige indonesischer und osttimoresischer Soldaten, Polizisten, Milizen und Beamten. Andere fliehen einfach vor dem Entsetzen, der Gewalt und dem Elend.
Mit zweistündiger Verspätung kam gestern auch hochrangiger Besuch: Sadako Ogata, die UNO-Hochkommissarin für Flüchtlinge. Als sie mit dem Hubschrauber an die Grenze zu Osttimor geflogen wurde, blieb ihr nur eine Stunde, um im Grenzort Atambua durch ein Stadion und eine Schule zu eilen, wo rund 6.000 Flüchtlinge untergebracht waren. Zehn Minuten gab man ihr dann noch für einen Besuch in Sportkomplex von Oepoi in Kupang, wo mehrere tausend Menschen in der Halle und in Zelten leben.
„Ich hoffe, dass wir schnell, also in zwei Tagen, unsere Mitarbeiter in die Lager entsenden können“, sagte Ogata gestern. Die indonesischen Behörden hätten zugesagt, die Sicherheit der UNHCR-Leute zu garantieren. Zuerst sei praktische Hilfe wie Wasser, Plastikplanen und ähnliches nötig. Längerfristig müssten die Flüchtlinge frei wählen könnten, ob sie nach Osttimor zurückkehren, in Westtimor bleiben oder auf eine andere Insel ziehen wollten.
Ein Grund für den Besuch der Flüchtlingskommissarin: Viele der Lager sind von Milizen kontrolliert, die mit Duldung des Militärs offenbar ihre Einschüchterungskampagnen weiterführen. UNHCR-Mitarbeiter wurden bis vor kurzem gewaltsam gehindert, die Lager zu besuchen. Auch ausländische JournalistInnen erhalten keinen Zugang.
Und auch als Ogata durch Atambua lief, schritten neben einigen Honoratioren, Beamten und Militärs mehrere bekannte und berüchtigte Milizenführer an ihrer Seite oder knapp hinter ihr durch die Lager. „Davon wusste ich nichts“, sagte Ogata später. Sie kümmere sich nie darum, wer mit ihr gehe. „Ich weiß ja gar nicht, wie die aussehen.“
Zu den begleitenden Milizenführern gehörte Eurico Guterres, Chef der Aitarak-Milizen, deren Leute für die grausamen Massaker und die Verwüstungen in Dili verantwortlich gemacht werden. In der Lokalzeitung Surya Timor hatte Eurico Guterres wenige Tage vorher gedroht, er werde „gegen Australien kämpfen“, das die internationale Friedenstruppe anführt. Das Foto auf dem Titelblatt zeigte einen waffenstarrenden Guterres, behangen mit Bazookas und Maschinengewehren.
Mehrere Lastwagen voller Aitarak-Milizen und Hausrat zogen gestern durch Kupang. Offenbar haben Guterres und seine obskuren Hintermänner beschlossen, einen großen Teil ihrer Leute aus Osttimor abzuziehen, bevor die internationale Friedenstruppe eintrifft. Indonesische Militärsprecher haben auch angekündigt, mehrere tausend Soldaten abzuziehen. Doch wie viele Militärs und Polizisten bisher noch in Osttimor sind, darüber gehen die Angaben weit auseinander: Offiziell ist von zusammen rund 15.000 die Rede, UNO-Mitarbeiter schätzen die Zahl auf 26.000.
Auch die Informationen über die Situation auf dem Weg von West- nach Osttimor sind höchst widersprüchlich. „Kein Problem, alles ruhig“, sagte gestern ein Mann, der sich als „Beamter“ der osttimoresischen Stadt Baucau vorstellt. Nach 16-stündiger Fahrt mit seinem silbrigen Geländewagen ist er gerade in Kupang eingetroffen. „Nach Osttimor wollen Sie?“, hat kurz zuvor der Chef der lokalen Flugaufsicht ungläubig gefragt. „Das ist viel zu gefährlich! Überall Milizen, die bringen Sie um.“ Und die Managerin des Hotels Inaboi warnt: Sie habe gerade gehört, wütende Flüchtlinge aus Osttimor hätten kürzlich einen Mann auf der Straße gelyncht „und sein Blut getrunken“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen