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Vertagte Ambitionen

■ Fischers Wunschkandidatin: Die Berlinerin Renate Künast

„Wen sonst“. Selbstbewusst haben die Berliner Grünen diesen Slogan auf die Plakate ihrer Spitzenkandidatin Renate Künast (43) gedruckt. Nur drei Wochen vor den Wahlen in Berlin muss sich die Landespartei die Frage nun selbst stellen, weil ihre Führungsfrau als Sprecherin des grünen Bundesvorstands im Gespräch ist. Zwar hatte der grüne Parteirat gestern ein Einsehen mit den Wahlkampfnöten der Berliner Parteifreunde und ließ die Sächsin Gunda Röstel vorerst im Amt. Doch kaum jemand glaubt, dass damit schon das letzte Wort gesprochen ist.

Dass Künast den festgefahrenen Parteikarren wieder flottmachen könnte, trauen nicht wenige Parteifreunde der Berlinerin zu. Sie gilt als „Lieblingsgrüne“ des heimlichen Parteivorsitzenden Joschka Fischer. Bei den Koalitionsverhandlungen im Herbst 1998 hatte sich der spätere Außenminister vom taktischen Geschick Künasts überzeugen können, die damals in der Verhandlungskommission saß. Als Fischer im August sein Berliner Büro bezog, stand als erster Termin ein einstündiger Plausch mit der örtlichen Spitzengrünen auf dem Programm.

Schon mehrfach war die Juristin Künast auf dem Sprung in die Bundes- oder Europapolitik. Nach der Bundestagswahl wurde sie erst als Ministerin, dann als EU-Kommissarin gehandelt. Doch das Justizressort fiel an die SPD, und den Posten in Brüssel bekam Michaele Schreyer, mit der sich Künast bislang den Fraktionsvorsitz im Berliner Landesparlament teilte.

Sprecherin des grünen Bundesvorstands hätte Künast schon vor einem Jahr werden können, als Jürgen Trittin in die Regierung wechselte. Damals hoffte sie noch auf einen rot-grünen Regierungswechsel in Berlin – und blieb in der Landespolitik.

Oft kann sie solche Offerten nicht mehr ausschlagen, will sie nicht weiter auf der Oppositionsbank im Landesparlament verharren. Entsprechend halbherzig klingen ihre Dementis. „Ich werde hier auch nächstes Jahr Landtagsabgeordnete sein“, verspricht sie – und fordert gleichzeitig, die Trennung von Amt und Mandat aufzuheben. Vor der Berliner Wahl am 10. Oktober allerdings, verkündete sie am Rande der gestrigen Parteiratssitzung, stellten sich solche Fragen nicht. Ralph Bollmann

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