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Freie Fahrt zum Konsum

Wieder Autos in Altonaer Großer Bergstraße? Studie empfiehlt bundesweit einmaligen verkehrspolitischen Rückschritt  ■ Von Sven-Michael Veit

Wenn es nach dem Willen einiger Altonaer Bezirkspolitiker geht, wird Hamburgs westlichster Stadtteil in die Annalen der deutschen Verkehrspolitik eingehen. Die Öffnung der Fußgänger- und Einkaufszone Große Bergstraße für den Autoverkehr steht auf der Tagesordnung. Im Stadtplanungsausschuss der Bezirksversammlung wurde gestern Abend ein Gutachten präsentiert, das diesen bundesweit einmaligen stadtentwicklungspolitischen Rückschritt empfiehlt. Die Sitzung dauerte bei Redaktionsschluss noch an.

Horst Emmel, SPD-Fraktionschef in der Bezirksversammlung, steht dem aufgeschlossen gegenüber: „Das ist eine Chance, Kaufkraft in das Einkaufszentrum zurückzuholen“. Senat und Bürgerschaft sollten, so Emmel, möglichst bald die Haushaltsmittel von mindestens 3,7 Millionen Mark für den Straßenumbau bereitstellen. Zuvor aber werden die Pläne vermutlich Anfang Oktober auf einer Anhörung noch der Öffentlichkeit vorgestellt werden.

Die von der Stadtentwicklungsbehörde in Auftrag gegebene Studie, die der taz hamburg vorliegt, kommt zu dem Schluss, dass eine Öffnung für den motorisierten Individualverkehr dem Einzelhandel Umsatzverbesserungen von bis zu 40 Millionen Mark pro Jahr bringen würde. Sollte die „Verbesserung der Verkehrsanbindung unterbleiben, ist mit Umsatzminderungen von circa 12 Mio. DM bzw. 15-20 Prozent zu rechnen“, malen die Gutachter schwarz. Der momentane Jahresumsatz in der Großen Bergstraße wird auf etwa 250 Millionen Mark pro Jahr beziffert.

Das Gutachten, das von einer Hamburger Beratungsfirma und zwei Berliner Ingenieur- und Architekturbüros gemeinsam erstellt wurde, schlägt im Wesentlichen vor, die Bergstraße östlich des zentralen Goetheplatzes für den Durchgangsverkehr einspurig zu öffnen. Das würde „die Befahrbarkeit in West-Ost-Richtung von der Max-Brauer-Allee bis zur Jessenstraße“ ermöglichen.

In Gegenrichtung wird die „Ausweisung einer Kommunaltrasse“ für Busse, Taxis und Fahrräder nach dem Vorbild der Mönckebergstraße „ausdrücklich empfohlen“. Zudem sei einer direkten Zufahrt zum Frappant-Parkhaus „hohe Priorität einzuräumen“. Dazu wäre eine Abbiegespur quer über den Goetheplatz in die Altonaer Poststraße erforderlich.

Der grüne Stadtentwicklungssenator Willfried Maier äußerte sich gegenüber der taz reserviert über die Studie. Er halte sie in weiten Teilen „für nicht plausibel“. Da seien wohl „Nacharbeiten notwendig“. Zu einer Grundsatzdiskussion wolle er das Thema Große Bergstraße indes nicht machen. Es sei offensichtlich, dass dort „etwas Attraktives“ geschehen müsse, um die „drohende Verslumung des Standortes aufzuhalten“. Deshalb sei er offen für „Einzellösungen, sofern die Vorteile einleuchtend sind“.

Von diesen scheinen allerdings selbst die Gutachter nicht so recht überzeugt zu sein. Mehrfach weisen sie auf den bundesweiten „beispielhaften Charakter“ des Vorhabens hin. Es sei ihnen bei ihrer Recherche nicht gelungen, in irgendeiner deutschen Stadt „entsprechende Untersuchungen und Erfahrungen zu ermitteln“.

Aus gutem Grund vermutlich.

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