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Alle an einem Tisch

■ Innere Mission machte mit Aktion auf das Problem Obdachlosigkeit aufmerksam / Grußwort der Sozialsenatorin, die Hilfe für Bedürftige kürzte, kam nicht gut an

Ich will da raus“, sagt Christa (53) energisch. „Nur hilft einem kaum jemand mehr, wenn man erst einmal ganz unten ist.“ Bis vor zwei Jahren habe sie Vollzeit gearbeitet, ein ganz „normales“ Leben geführt, mit Mann und zwei Kindern in einer „schönen Wohnung“ gelebt. Dann die Kehrtwende: Sie habe ihre Familie verloren und keinen Ausweg mehr gesehen. „Da hat's mir schließlich bis hier gestanden“, sagt Christa. Daraufhin habe sie angefangen zu trinken und deshalb vor zwei Jahren den Job verloren. Geld für die Miete habe sie schließlich auch keines mehr gehabt. „Jetzt wohne ich mit anderen zusammen, einer davon bezahlt die Wohnung“, sagt sie. So müsse sie wenigstens nicht unter freiem Himmel schlafen.

Christa gehört zu den „verdeckten Wohnungslosen“, weil sie nicht für jeden sichtbar auf der Straße übernachten muss. In Bremen, so schätzt das Sozialzentrum, gibt es etwa 200 bis 300 Obdachlose, die jeden Tag aufs Neue überlegen müssen, wo sie die Nacht über bleiben sollen. Um den BremerInnen diese Menschen ein wenig näher zu bringen, hat der Verein für Innere Mission in Bremen sein 150-jähriges Jubiläum genutzt: für drei Stunden wurde gestern der Marktplatz zur Informationsplattform mit zahlreichen Ständen gemacht. Vorgestellt haben sich auch sieben Bremer Institutionen und Verbände, die sich für Obdachlose einsetzen: Von der Bremer Tafel e.V., über die Bahnhofsmission Bremen bis hin zum Verein zur Förderung der medizinischen Versorgung Obdachloser. Im Zentrum der Veranstaltung stand jedoch die große Tafel, an der die BremerInnen gemeinsam die Erbsensuppe „auslöffeln“ sollten. „Wir wollen heute die Bremer an einen Tisch kriegen und uns bei allen bedanken, die sich für Wohnungslose in dieser Stadt engagieren“, eröffnete Sozialzentrums-Leiter Bertold Reetz mittags die Veranstaltung. Auch die Herren und Damen aus der Bürgerschaft waren herzlich eingeladen, sich mit an die weiß gedeckte Tafel zu setzen. Schirmherr Henning Scherf konnte wegen seines Auftritts in Karlsruhe (siehe Seite 21) nicht erscheinen. Das Grußwort der Stadt hat deshalb Sozialsenatorin Hilde Adolf übernommen und sich gefreut, dass „nicht nur im Stillen“ gefeiert wurde. Für einige der Obdachlosen war die Anwesenheit der Sozialsenatorin ein Dorn im Auge. Dass gerade bei ihnen jetzt gespart werde – von dem „bisschen“ das sie ohnehin nur hätten – konnten sie nicht verstehen.

Dass die Obdachlosen überhaupt Unterstützung oder Hilfe erhalten, darum bemüht sich Jonas Pot d'Or, Sozialarbeiter beim Sozialzentrum. Als Einziger ist er mit einer halben Stelle seit knapp zweieinhalb Jahren in Bremen unterwegs, um mit den Obdachlosen zu sprechen und sie – wenn nötig – zu den Sozialämtern begleitet. „Viele erreichen da alleine überhaupt nichts. Die werden einfach wieder weggeschickt“, kennt Pot d'Or die Schwierigkeiten der Obdachlosen, sich bei den Sachbearbeitern zu behaupten. Auch Christa sagt, man habe sie beim Sozialamt „wie einen Menschen dritter Klasse“ behandelt. Aber das seien nicht die einzigen, meint Christa: „Und Freunde hast du auch nur, wenn du auch –ne Mark in der Tasche hast.“

Gerade wegen der oftmals fehlenden Akzeptanz Obdachlosen gegenüber, hat die Innere Mission den Marktplatz als Veranstaltungsort gewählt. Denn nicht nur schöne Passagen gehörten zum Charme dieser Stadt, sondern auch die Art, mit ihren MitbürgerInnen umzugehen, die am Rande der Gesellschaft lebten, sagte Zentrums-Leiter Reetz zur Eröffnung. san

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