Geboller für die Bundesliga

Apollo Four Forty sind die Band, die jeder kennt, ohne sie zu kennen. Die Fußballfans bolzen den Rock in die Ravekultur. Aber war Dance-Musik so gemeint?  ■   Von Thomas Winkler

Es beginnt, wie es nicht beginnen sollte. Oder: Wie man es nicht erwartet. Mit einem Riff nämlich, das auch ZZ Top so hätten spielen können. Es dauert eine Weile, bis die Sequenzer einsetzen, bis die Elektronik einen in die Jetztzeit zurückholt. Ein wenig atmet man da auf. Dies ist schließlich nicht die neue Platte einer Boogie-Rockband aus Texas. Dies ist „Gettin' High On Your Own Supply“ von Apollo Four Forty. „Stop The Rock“ ist der erste Song darauf und die erste Singleauskopplung. Kurz zuvor fragt der Epilog auf dem Album: „Are we a rock band or what?“

Im Gespräch verneint Noko diese Frage. Offiziell. Noko ist Gitarrist des Trios aus London, das inzwischen kein Trio mehr ist, und derjenige in der Band, dem das Reden und Spekulieren über die eigene Musik deutlich am meisten Spaß macht. „Sicherlich wird es immer Leute geben“, sagt er, „die meinen, dass Dance-Musik so nicht gemeint war.“

Diese Leute gibt es. Die Menschen, die den Namen Apollo 440 mit irgend etwas verbinden, sind deswegen meist nicht gut auf sie zu sprechen. Der Rest, und das sind eindeutig mehr, findet Apollo 440 klasse, auch wenn er nicht weiß, wer oder was Apollo 440 ist.

Denn Apollo 440 sind die Band, die jeder kennt, ohne sie zu kennen. Zwei der Songs von ihrem letzten Album, „Krupa“ und „Ain't Talkin' Bout Dub“, wurden während der letzten Bundesligasaison von Sat.1 für die Bundesligafußball-Show „ran“ verwendet. „Wir wussten, dass sie die Songs verwendet haben“, sagt Noko, „aber wir wussten nicht, wie bekannt diese Sendung ist.“ Wenn er „ran“ sagt, hört sich das an wie „ränn“ und klingt gleich viel cooler. Eins ist jedenfalls sicher: Wenn diese Band etwas anfasst, verwandelt sich Scheiße in Gold.

Also, die aktuelle Single: Auf ihr heißt es „You Can't Stop the Rock“, und gesungen wird diese Zeile von Mary Mary, neuer Stammsänger und aktuelle Rampensau für Apollo 440. Der hat einmal in einer anderen musikalischen Zeitrechnung bei der fast schon ins Comedyhafte lappenden Rockband Gay Bikers on Acid gesungen. Dass man den Rock nicht aufhalten kann, haben Bands wie Underworld und vor allem Prodigy bewiesen. Und natürlich Apollo 440 mit „Ain't Talkin' Bout Dub“, das auf einem Sample von Van Halens „Ain't Talkin' Bout Love“ beruhte. „Viel zu viel Geld für Eddie van Halen verdient“ habe man mit diesem Song, meint Noko. Diesmal wird das Cash mit der eigenen Schubkarre nach Hause gefahren – egal was die anderen sagen. Der NME sagt zum Beispiel so böse Sachen wie dass „Stop The Rock“ auf einem Sample von Status Quo beruhe. „Cold Rock The Mic“ hört sich weit mehr nach Led Zeppelin an, als die Originale das selbst hinbekommen haben, vielleicht ist es ja sogar das Original. Plagiatsvorwürfe? „Shake Your Paranoia“ heißt es programmatisch in „Stop The Rock“.

Da passt es ins Bild, dass Apollo 440 durch die Bank Fußballfans sind. Außer Noko: „Ich habe angefangen Musik zu machen, um solchen Menschen aus dem Weg zu gehen.“ Nun muss er vom Spielfeldrand aus zusehen, wie leicht es ist, die üblichen Vorurteile über das englische Kick-and-Rush auf ihre Musik zu übertragen: Power über 90 Minuten und immer stumpf nach vorne. Aber nicht nur Manchester United spielt nicht mehr so. Nicht mal in Liverpool, von wo Noko und die Gray-Brüder stammen, wird mehr so gekickt. Für ihren geliebten FC haben Teile der Band einen Song aufnehmen dürfen, der das Erreichen des Cup-Endspiels feierte. Nicht mal einen Tag haben sie für den Track gebraucht, er wurde Nummer vier in den Charts. Trotzdem: Apollo 440 strahlen eine sehr sympathische Form von Professionalität aus.

Wie jede internationale Spitzenmannschaft haben auch sie sich vor der neuen Saison gezielt verstärkt. Die Stammbesetzung aus Noko und den beiden Brüdern Trevor und Howard Gray wurde auch für die Studioarbeit um die Livebesetzung erweitert. Statt sich wie zuvor Gastvokalisten und -musiker einzuladen, agierte man als feste Band mit Sänger Mary Mary, DJ Harry K, Bassist Kenny Cougar und vor allem den beiden Schlagzeugern Cliff Hewitt und Kodish. Die beiden veranstalten nun ein Getrommel und Gewirbel, dass die Rhythmusmaschinen rot werden vor Neid. Die Elektronik, so sagt Trevor, hat nur den einen Zweck: die Möglichkeiten auszuweiten und zu perfektionieren. Zuerst darf Noko sein Gitarrenriff spielen, dann wird es gesampelt und geloopt, um es möglichst effektiv zu machen.

„Ich bin aufgewachsen mit dem großen Spektakel, mit dem Theater Rock 'n' Roll, die Lichter, die laute Musik, das Feuerwerk“, erzählt Trevor Gray, „in so einer Band wollte ich immer sein, und das ist es, was wir bieten.“ Vor allem auch auf der Bühne, was nur die allerwenigsten Acts aus dem Gewerbe hinkriegen.

Eine Band also wollen Apollo 440 sein. Eine Rockband allerdings nicht unbedingt. „Apollo 440, das ist ein Techno-Name, das sind immer noch unsere Wurzeln“, sagt Noko, „aber wir wissen, dass wir auch aus der Rocktradition schöpfen. Grundsätzlich ist alles Roots-Musik, ist alles Blues.“

So kann man die Dreistigkeit des Big Beat auch legitimieren. In „Heart Go Boom“ mischen sie Dub, Metal-Riffs, Techno-Geboller, klassisches Geklimper, Electro-Sounds und eine Country-Mundharmonika in einem einzigen Track. „Wir versuchen unsere Songs möglichst spektakulär zu gestalten“, sagt Noko, und es riecht nach Kampf bis zur letzten Minute. „In dem Moment, wo etwas zu vorhersagbar klingt, versuchen wir ein Element einzubringen, das man nicht erwartet. Ich will keine Platte machen, die man schon einmal gehört hat.“

Der Treppenwitz an der ganzen Angelegenheit ist der: Die Rockmusik samt ihren Begleiterscheinungen kommt nun durch die Hintertür wieder da an, wo sie eigentlich schon ausgemerzt schien, in der Ravekultur. Das Spektakel findet nicht mehr auf dem Dancefloor, sondern wieder auf der Bühne selbst statt. „Zumindest ein Teil des Publikums“, sagt Noko, „braucht etwas Personalisiertes.“ Kein DJ kann da offensichtlich einen echten Rocker ersetzen. Was ein guter DJ ist, der will das wahrscheinlich gar nicht. Eine Haltung, die Noko noch heute „großartig und politisch eine interessante Position“ findet, aber: „Wir lieben es halt zu rocken.“

So sind wir sofort in die Phase des Monster- und Stadionrock eingetreten, und mit Apollo 440 hat sich die Band gefunden, die aus dem Stegreif alle Hits drauf hat. Der Titelsong des Albums erinnert an die verquasten Rockopern der späten Siebziger. Der Song „Stadium Parking Lot“ ist wie eine eingedampfte Version der Beastie Boys zu „Fight For Your Right To Party“-Zeiten. Kurz gesagt: Apollo 440 knallen. Aber richtig heftig. „Es gibt nur zwei Dinge, die wirklich rocken“, doziert Noko überzeugt, „das total Vorhersehbare oder das absolut Unerwartete.“ Der Trick von Apollo 440 ist, diese Erkenntnis mit sich selbst zu multiplizieren: Bei ihnen wird selbst das Unerwartete vorhersehbar.

Apollo Four Forty: „Gettin' High On Your Own Supply“ (Epic/Sony)