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Der große Kehraus von Edelgard Bulmahn

Bildungsministerin hofft, diesmal wirklich alle unvermittelten Jugendlichen mit einer Lehrstelle zu versorgen. Neue Masche: Ausbildungskonferenzen in den Arbeitsamtsbezirken. Auch Jagoda optimistisch  ■   Von Christian Füller

Berlin (taz) – Die Bildungsministerin des Bundes ist offenbar entschlossen, in diesem Jahr allen jugendlichen Schulabgängern einen Ausbildungsplatz anzubieten. Edelgard Bulmahn (SPD) hat sich dazu etwas Neues ausgedacht: die regionalen Ausbildungskonferenzen. Dabei sollen im Oktober, wenn der Lehrstellenmarkt traditionell leergefegt ist, alle Beteiligten noch einmal an einen Tisch geholt werden, um in die Einzelberatung zu gehen. „Wir werden Schluss machen mit der Lehrstellenlüge“, verdeutlichte Bulmahn den Sinn des Unternehmens gegenüber der taz.

Die neuen regionalen Ausbildungskonferenzen sollen bundesweit in 181 Arbeitsamtsbezirken stattfinden. Dabei treffen sich Gewerkschaften, Unternehmensverbände, die Kammern, Vertreter von Schulen – und die Stellenvermittler des Arbeitsamts. Das Bündnis, zu dem sich Wirtschaft und Gewerkschaften im Juli am Tisch von Bundeskanzler Gerhard Schröder verpflichteten, intensiviert die Lehrstellenbemühungen der Vorgängerregierung. „Die gehen noch ein Stückchen weiter“, erläuterte Manfred Roosch, Sachbearbeiter beim Arbeitsamt Berlin/Brandenburg: „Nun wird im Oktober noch einmal nach Stellen gesucht – und zwar wohnortnah in den gewünschten Berufsfeldern.“

Die Regionalkonferenzen werden nach Auskunft der Bundesanstalt für Arbeit unter weitaus besseren Bedingungen als in den letzten Jahren arbeiten. Die Statistik der Nürnberger Arbeitsvermittler weist Ende August eine Lehrstellenlücke von 80.000 auf – das ist eine Verbesserung gegenüber 1998 um 20.000 freie Stellen. Die Azubi-Forscher von Anstaltspräsident Bernhard Jagoda sehen den Trend aber noch positiver: Es sei nämlich gelungen, stark ansteigende Zahlen von Schulabgängern zu vermitteln, sagte Sprecherin Gisela Steltzer. Im Jahr 2000 werde die Zahl der Lehrstellen suchenden Jugendlichen um 30.000 (gegenüber 1998) ansteigen. Dennoch sinke die Zahl der Unvermittelten.

Jagoda glaubt gar: Wenn es gelänge, im Herbst zusätzliche 10.000 Lehrstellen zu mobilisieren, sei die Lehrstellenlücke in diesem Jahr zu schließen. Der Grund für Jagodas Optimismus ist darin begründet, dass viele Schulabgänger momentan noch „zur Sicherheit“ eine Lehrstelle bunkern würden – obwohl sie sich für Hochschule oder weitere schulische Ausbildung entschieden hätten. Aber wie konnte sich die angespannte Lehrstellensituation binnen eines Jahres so entschärfen? „Wir sind davon überzeugt, dass das mit dem 100.000-Jobs-Programm für Jugendliche zusammenhängt“, sagte der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit der taz. Inzwischen verzeichnet das Programm über 177.000 Eintritte allein in diesem Jahr. Dabei handelt es sich zwar auch um kurzfristige schulische Maßnahmen und so genannte Warteschleifen. Aber das anfänglich als Wahlkampfgag verspottete Jugendprogramm hat den Boden offenbar so weit bereitet, dass nun mit Bulmahns Regionalkonferenzen tatsächlich alle Bewerber zu erreichen wären.

Die Bildungsministerin sagte, ihr gehe es darum, den leidigen Streit um die Azubi-Statistik zu beenden. In den letzten Jahren hieß es Anfang Oktober von Gewerkschaftsseite stets, es gebe noch zehntausende unvermittelter Jugendlicher. Ende November triumphierten schließlich die Arbeitgeber, alle Jobsucher seien versorgt – und alle wussten, dass das nicht die Wahrheit sein konnte. „Man darf nicht im Streit über Zahlen auseinandergehen“, beschwor die SPD-Ministerin nun ihren neuen Ansatz.

Bulmahns Beamte verweisen darauf, dass die Arbeitgeber stets betont hätten, sie hätten keine geeigneten Bewerber für freie Stellen finden können. Die Regional-Konferenzen in den Arbeitsamtsbezirken seien nun „ein sehr taugliches Mittel“, diese Stellen zu besetzen – auch mit Hilfe von kurzfristig Nachqualifizierten aus dem 100.000er-Programm.

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